Angestaubt? Von wegen!
Angestaubt? Von wegen!
Von Vicky Stoll
Laura Marling und Nadia Reid – zwei junge Frauen beleben das Genre des Singer/Songwriter. Wir haben in die neusten Werke der beiden Damen hineingehört:
Wer Laura Marling zum ersten Mal hört, wird aufhorchen. In der Stimme der 25-jährigen Britin liegt so viel Reife, so viel Weisheit und so viel Besonnenheit, also vornehmlich Eigenschaften, die man eher mit wesentlich betagteren Mitmenschen in Verbindung bringt. Marling singt nicht bloß, sie predigt, schwelgt, tobt, klagt und lobt, bis auch der Letzte kapiert hat, dass es ihr ernst ist.
Hätte Marling nicht eine viel dunklere Stimmlage, so läge der Vergleich mit der großen Joni Mitchell noch näher. Kein Wunder, dass die kanadische Sängerin auch als eines der wichtigsten Vorbilder Marlings gilt. Das inzwischen sechste (!) Studioalbum der Laura Marling heißt „Semper Femina“, lateinisch für „Frau sein für immer“, und nähert sich thematisch der Weiblichkeit aus verschiedenen Richtungen an.
Darunter befinden sich literarische, kunsttheoretische, gendertheoretische sowie psychoanalytische Referenzen spätantiker Dichter, die jedoch in dem Werk derart verwoben wurden, dass das Produkt nicht unter seinem intellektuellen Gehalt erstickt. Ganz im Gegenteil, Marling entkommt auf diese Weise jeglicher Abgedroschenheit und verbindet klassisches Singer/Songwriting mit Anspruch. Die Produktion überzeugt durch Schlichtheit und Askese: Akustikgitarre, Hammondorgel, Schlagzeug, ein bisschen Kontrabass, fertig. Alles Weitere ist Luxus.
Der thematische rote Faden scheint neben der Weiblichkeit die Frage nach dem richtigen Handeln zu sein – meist geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. „Wild Fire“ richtet sich an einen Verflossenen, strotzt nur so von Spott und Hohn. Doch statt den Anflug von Verbitterung in Kauf zu nehmen, endet der Song mit einer Art Achselzucken („You can stop playing that shit out on me“). „Don’t pass me by“ ist der am opulentesten orchestrierte Song.
Er fällt im Vergleich ein wenig ab, bietet jedoch die perfekte Vorlage für das wundervolle „Always This Way“, das Marlings Können bündelt: sparsame, aber perkussiv-melodische Gitarrenarbeit, starke Worte und eine Kurzdemo ihrer gesanglichen Fähigkeiten. Die erste Single „Soothing“, zugleich Eröffnungssong des Albums, besticht durch die lässigen Kontrabass-Spuren und den erlösenden Refrain („I need soothing“), der nicht von ungefähr sexuelle Assoziationen weckt, gefolgt von einer unmissverständlichen Drohung („I banish you with love“).
Laura Marling überzeugt und zeigt, dass es noch relevante Platten im aus der Mode gekommenen Genre Singer/Songwriter gibt.
Nadia Reid und die Renaissance eines Altherrengenres
Die im Vergleich zu Laura Marling noch recht unbekannte Nadia Reid aus Neuseeland knüpft da nahtlos an. Auch sie ist dem mittlerweile fast als uncool geltenden Musikgenre Singer/Songwriter zuzurechnen, unter dem man gemeinhin versteht, dass sich ein Barde oder eine Bardin mithilfe der Musik zu den unterschiedlichsten Themen Luft macht.
In neun von zehn Fällen ist eine Akustikgitarre involviert, birgt dieses Instrument doch neben seiner einfachen Handhabung den Vorteil, dass man mit seiner Hilfe jeden Song begleiten kann. Singer/Songwriter treten meist solo auf und schreiben ihre häufig biografisch geprägten Lieder selbst. Nadia Reid zählt also auch zu dieser Zunft. Auch sie ist Mitte Zwanzig, verfügt über eine eigene Stimmfarbe mit Wiedererkennungswert und kann alleine mit ihrer Gitarre dafür sorgen, dass man vor Überwältigung für einen Moment die Fassung verliert („Hanson St. Part 2 – A River“).
Die ersten fünf Songs sorgen gleich für eine Klimax, übertreffen sie sich doch jeweils. Leise beginnt sie mit „Preservation“ und legt damit schon thematisch den Punkt fest, um den alle Lieder kreisen werden. Mühelos haut Reid anschließend einen Kracher nach dem anderen raus, darunter die beiden Singles, das mitreißende „The Arrow And The Aim“ und die todtraurige Abrechnung „Richard“.
Die zweite Hälfte des Albums kann diese Steigerung zwar nicht halten, stagniert aber auf einem sehr hohen Niveau. Das verträumt versackende „Te Aro“ sticht hier besonders heraus. Auch hier: keine Spur von Phrasen oder Passepartout-Emotionen. Stattdessen liefert Nadia Reid ein großartiges Album ab, dem auch Freunde von Folk und von anspruchsvollem Pop einen Hördurchgang gönnen sollten.
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