„Wir kehren Europa nicht den Rücken“
„Wir kehren Europa nicht den Rücken“
Interview: Pierre Leyers
Herr Botschafter, etwa 6000
Briten leben in Luxemburg. Wie
ist die Stimmung bei Ihren
Landsleuten?
Die überwiegende Mehrheit der britischen Staatsbürger in Luxemburg hat „remain“ gewählt, das ist keine Überraschung. Viele sind geschockt vom Ergebnis. Sie glauben an Großbritanniens Platz in der Europäischen Union und sind jetzt besorgt, was ihre Möglichkeit, in Luxemburg zu leben und zu arbeiten, angeht.
Was sagen Sie zu ihnen?
In absehbarer Zeit wird sich an ihrem Status nichts ändern. Wir bleiben noch mindestens ein paar Jahre lang Mitglied der EU, mit allen Rechten und Pflichten. Was danach geschieht ist Teil der Verhandlungen über die künftigen Beziehungen, die wir mit der EU führen werden. Wir werden alles daran setzen, bei diesen Verhandlungen das bestmögliche Ergebnis für unsere Bürger zu erreichen. Ich sage ihnen auch, dass es derzeit mehr Fragen als Antworten gibt, und dass wir sie über alle neuen Entwicklungen informieren werden.
Ich habe gehört, dass sich viele Briten um die luxemburgische Staatsbürgerschaft bewerben?
Das stimmt. Ich kenne keine genauen Zahlen, weiß aber, dass schon seit etwa einem Jahr die Zahl solcher Anträge steigt. Hier in der Botschaft erhalten wir zahlreiche Anfragen von britischen Bürgern, die wissen wollen, ob Großbritannien die doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt. Wir können das bejahen.
Haben Sie mit diesem Ergebnis der Volksabstimmung gerechnet?
Ich wusste, dass es ein sehr knappes Ergebnis werden würde, glaubte aber, dass das es letztendlich zugunsten des „Remain“-Lagers ausfallen würde.
Warum haben die Briten gegen den Verbleib gestimmt?
Zwei Faktoren waren bei diesem Referendum ausschlaggebend: Sorgen über die Einwanderung, sowie der Wunsch, wieder die Kontrolle über das eigene Land zu übernehmen.
Wenn Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt behalten will, muss es die damit einhergehenden vier Freiheiten respektieren. Immigration und EU-Regularien werden auch nach dem Brexit bleiben.
Die nächste britische Regierung wird festlegen, mit welchen Vorschlägen sie die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zur EU beginnen will. Sicher ist, dass diese Vorschläge dem Ergebnis des Referendums Rechnung tragen werden.
Ich habe den Eindruck, dass dieser Punkt die Verhandlungen erschweren wird. Es soll kein „Binnenmarkt à la carte“ geben, hieß es beim EU-Gipfel in Brüssel.
Wir sollten nicht über den Verlauf und das Ergebnis der Verhandlungen spekulieren. Noch hat keine Seite, weder London noch die 27 Mitgliedsstaaten, ihre Ausgangsposition definiert. Sicher ist aber schon jetzt, dass es auch künftig eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und der europäischen Union geben wird. Ich denke da an Verteidigung, Handel, Wirtschaft und an gemeinsame Antworten auf globale Herausforderungen. Premier Cameron sagte beim EU-Gipfel: Wir verlassen zwar die Europäische Union, doch wir kehren Europa nicht den Rücken.
Welchen Einfluss hat der Brexit auf die Beziehungen zwischen Luxemburg und dem Vereinigten Königreich?
All meine Luxemburger Gesprächspartner haben mir gesagt, dass sie den Entschluss des britischen Volkes bedauern, aber respektieren. Das ist auch die Haltung der Luxemburger Regierung, die betont, dass der Brexit kurzfristig vielleicht Vorteile schafft, aber langfristig alle dadurch verlieren werden. Ich bin absolut sicher, dass die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sehr eng bleiben werden. Dies gilt sowohl für unsere Regierungen, als auch für unsere beiden Finanzzentren, die sich schon jetzt gegenseitig gut ergänzen. Ich bin optimistisch, was die künftigen Beziehungen anbelangt – trotz der aktuellen Unsicherheit.
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