Wie eine Region das Abkommen verhindert
Wie eine Region das Abkommen verhindert
(dpa) - Die Tourismusbranche der Wallonie wirbt mit „guter Laune und Geselligkeit“. Das Lachen ist der Europäischen Union im Streit mit der belgischen Region über das Freihandelsabkommen CETA aber inzwischen vergangen. „Wir machen keine Späße“, sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite am Freitag beim EU-Gipfel säuerlich. „Der Humor war gestern nicht besonders gut.“
Die französischsprachige Region im Süden Belgiens mit rund 3,6 Millionen Einwohnern bietet malerisch hügelige Landschaften und die regelmäßige Neuinszenierung der Schlacht von Waterloo, kämpft aber auch mit Strukturkrise und Deindustrialisierung. Seit rund einer Woche hat sie die fast ungeteilte Aufmerksamkeit der EU.
Da hatte die Regionalregierung mit Rückendeckung des lokalen Parlaments ihr Veto dagegen eingelegt, dass Belgien den Handelspakt CETA mit Kanada unterzeichnet. Dahinter stecken Bedenken der sozialistischen Regierung, dass CETA belgische Sozial- und Umweltstandards aushöhlen und die Sozialversicherung sowie die Landwirtschaft der Wallonie schwächen könne.
Belgische Regionen mit weitreichenden Kompetenzen
Mit den Vorbehalten steht die Wallonie nicht alleine, aber dass sie die Macht zur Blockade des gesamten Abkommens hat, liegt am belgischen Föderalsystem. Ursprünglich auf Betreiben der Flamen im Norden haben sich die Regionen weitreichende Kompetenzen erstritten. Das gilt auch für internationale Verträge, sofern sie regionale Interessen betreffen. Alle fünf Regional- und Sprachvertretungen müssen zustimmen, sonst kann die Föderalregierung CETA nicht unterschreiben.
Die Wallonie hat bei ihrer Ablehnung neben inhaltlichen auch innenpolitische Motive, wie der Politikwissenschaftler Dave Sinardet der Deutschen Presse-Agentur im Interview erklärte. Die in der Wallonie regierende Parti Socialist „hat kein Interesse daran, der Föderalregierung das Leben zu erleichtern, ganz im Gegenteil“, sagt der Brüsseler Forscher. Denn erstmals ist die PS nicht an der belgischen Regierung beteiligt. Ministerpräsident Charles Michel stützt sich auf konservative und liberale Parteien.
Michel und sein Kabinett wiederum schienen sich um die Einwände der strukturschwachen Wallonie lange kaum zu scheren, hatten sie für CETA doch den Rückhalt der wirtschaftsstarken Flamen. „Die Föderalregierung hat das unterschätzt und wahrscheinlich gedacht, dass die wallonische Regierung ihre Meinung ändern und nachgeben würde“, sagt Sinardet.
Da hat sie sich verrechnet. Zwar vermittelte die EU-Kommission einen Kompromiss zur besonderen Berücksichtigung der Bedenken aus der Regionalmetropole Namur. Die EU-Partner signalisierten auch, dass sie dies mittragen würden. Doch die Wallonie sagte am Donnerstagabend erneut Nein. Ministerpräsident Paul Magnette führte Nachverhandlungen, auch mit Kanada - vorerst ohne Durchbruch. Am Freitagmittag bekräftigte er: Die Zugeständnisse reichen noch nicht. Die für kommenden Donnerstag geplante Unterzeichnung von CETA solle verschoben werden.
Zuviel der Regionalisierung?
Das versuchen Michel und die EU zu verhindern, weil sie weitere Sonderwünsche fürchten. In Medien wird spekuliert, dass Magnette auch mit Zugeständnissen der Föderalregierung umgestimmt werden könnte oder mit Strukturmitteln der EU. Öffentlich geredet wird nur über Klarstellungen und Zusicherungen in einer Begleiterklärung zu CETA, um Magnettes Bedenken zu entkräften.
In Belgien könnte der Machtkampf nach hinten losgehen, wie Experte Sinardet erläutert. Es beginne nun eine Debatte, ob die Regionalisierung nicht zu weit getrieben worden sei, sagt er. Die Baltin Grybauskaite ist jedenfalls bedient. „Ich glaube, wir sind zum Teil die Geiseln der Innenpolitik eines Landes“, sagte sie am Freitag, auch wenn sie Schwächen bei der Vorbereitung von CETA einräumte.
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