Wie die NATO über Lücken in der Luftverteidigung spricht
Wie die NATO über Lücken in der Luftverteidigung spricht
Im Schatten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat die NATO im Nordatlantik zwischen Schottland und Norwegen die Abwehr feindlicher Raketen geprobt. Die dreiwöchige NATO-Übung „Formidable Shield“ - was auf Deutsch etwas hölzern „Beeindruckender Schutzschild“ bedeutet - sollte die Einsatzbereitschaft der Luftabwehrfähigkeiten des transatlantischen Bündnisses unter Beweis stellen. Finanziert wurde die Übung vom US-Verteidigungsministerium.
„Formidable Shield“ trägt den Charakter einer „Integrated Air and Missile Defence“ (IAMD). Das heißt, dass die beteiligten See- und Landeinheiten sowohl das Abfeuern, Verfolgen, Abfangen und Zerstören von land- sowie seegestützten Unter-, Überschall- und ballistischen Raketen proben.
„Formidable Shield“ findet regelmäßig alle zwei Jahre statt. Die Übung dürfte angesichts der russischen Bedrohung durch Mittel- und Langstreckenraketen in diesem Jahr allerdings besondere Brisanz besitzen.
Nach NATO-Angaben haben sich dreizehn NATO- und Partnerstaaten mit mehr als 20 Schiffen und 35 Flugzeugen, einem US-U-Boot, acht Bodeneinheiten, bestehend aus Radargeräten, dem National Advanced Surface-to-Air Missile System (NASAMS) und dem auch in der Ukraine eingesetzten High Mobility Artillery Rocket System (HIMARS), sowie etwa 4.000 Frauen und Männern aus dem gesamten Bündnis beteiligt - darunter allerdings kein Personal oder Gerät der luxemburgischen Armee.
Leistungsfähigkeit der NATO-Raketenabwehr bleibt unklar
„Formidable Shield“ findet regelmäßig alle zwei Jahre statt. Die Übung dürfte angesichts der russischen Bedrohung durch Mittel- und Langstreckenraketen in diesem Jahr allerdings besondere Brisanz besitzen. Zwar ist der Nimbus der „Unabfangbarkeit“ der russischen Überschallrakete „Kinschal“ erst kürzlich durch das westliche „Patriot“-System gebrochen worden, jedoch bleibt die Bedrohung vor allem durch überschnelle Waffensysteme weiterhin akut.
Im Pressegespräch zeigten sich die beiden Kommandeure Konteradmiral James Morley von der britischen Royal Navy und Captain Jonathan Lipps von den US-Seestreitkräften mit den Ergebnissen von „Formidable Shield“ zufrieden. Auf die Frage, warum im vergangenen Dezember eine grundsätzlich nuklear-bestückbare russische Rakete trotz des unmittelbaren Aufsteigens von NATO-Abfangjägern ungehindert auf polnischem Territorium niedergehen konnte, antworteten die Offiziere ausweichend. „Vorfälle wie dieser bestätigen natürlich, wie wichtig es ist, dass wir Kapazitäten zur Raketenabwehr aufbauen“, sagte Lipps.
In das Bild dieser potenziellen Abwehrschwäche passt auch die These des renommierten Konfliktforschers Carlo Masala, der kürzlich anlässlich der NATO Parliamentary Assembly in Luxemburg Stadt erklärte, dass das nordatlantische Verteidigungsbündnis im derzeitigen Zustand kaum in der Lage sei, wenigstens ein Drittel seines Territoriums gegen feindliche Raketenangriffe schützen zu können.
Luxemburgs Luftraum wird von NATO-Partnern verteidigt
Immerhin: Es tut sich was. Auf Initiative Deutschlands und unter dem Eindruck der russischen Invasion in die Ukraine unterzeichneten Ende 2022 insgesamt 15 Staaten ein Abkommen zur Gründung der "European Sky Shield Initiative". Neben Deutschland sind das Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Großbritannien, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Weiteren europäischen Ländern steht der Beitritt jederzeit offen.
„Interessant“ sei die Initiative auch für Luxemburg, die Teilnahme ebenso „vorstellbar“. Das Großherzogtum profitiert dabei von seiner Lage zwischen Belgien, Frankreich und Deutschland, die bereits über entsprechende Luftabwehrfähigkeiten verfügen. Ohnehin sei nicht davon auszugehen, so das Ministerium, dass ballistische Raketen oder Überschallflugkörper in den luxemburgischen Luftraum eindringen könnten, ohne nicht vorher von den NATO-Partnern aufgeklärt und abgewehrt worden zu sein.
Auf diese Nachbarschaftshilfe wird Luxemburg auch weiterhin angewiesen sein, denn der Aufbau einer nationalen Luftverteidigung sei keine für das Großherzogtum definierte NATO-Vorgabe. Sollte es dennoch dazu kommen, dass ein nicht identifiziertes Flugobjekt in den Luftraum Luxemburgs eindringt, wird dieses von der belgisch-luxemburgischen Luftraumkontrollzentrale in Beauvechain (B) verfolgt und notfalls nach Entscheidung durch den Armeeminister von niederländischen oder belgischen Jagdflugzeugen abgefangen.
Skandinavien formt Verteidigungsallianz
Angeblich - so erklärte Morley - habe der russische Angriffskrieg, in dem von der russischen Seite auch weitreichende Raketen eingesetzt werden, keinerlei Auswirkungen auf die Natur von „Formidable Shield“ gehabt. Dennoch wurde US-Kapitän Lipps der Leistungsschau nicht müde: „In diesem Jahr hat die italienische Luftwaffe im Rahmen von 'Formidable Shield' den ersten Luft-Luft-Einsatz auf ein Kriegsziel durchgeführt. Wir haben mehr Schiffe, mehr Einsätze, mehr Kampfflugzeuge der vierten und fünften Generation als je zuvor und wir haben die Bodentruppen auf eine neue und innovative Weise integriert.“
Eine Integration streben auch die skandinavischen Länder an: Erst im März haben Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen auf der US-amerikanischen Air Base Ramstein die Bildung einer gemeinsamen Luftverteidigung angekündigt, die, im Falle der Realisierung, über rund 250 Kampfflugzeuge verfügen wird. Wenig überraschend: Grund für diesen Schritt sei der russische Überfall auf die Ukraine. Bemerkenswert ist, dass Schweden aufgrund des Türkei-Vetos bisher noch kein NATO-Mitgliedsstaat ist. Schon spricht man im europäischen Norden von einer „Mini-NATO“.
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