Weltklimagipfel: In Kattowitz werden Weichen gestellt
Weltklimagipfel: In Kattowitz werden Weichen gestellt
(dpa) - Kattowitz ist als Ort für einen Klimagipfel auf den ersten Blick ziemlich ungeeignet. Die 300.000-Einwohner-Stadt liegt im Oberschlesischen Industriegebiet, der Steinkohleregion Polens. „Wir haben ein kohlebesessenes Land am Steuer“, kritisiert die Hilfsorganisation ActionAid.
Andererseits passt Kattowitz als Gastgeber genau deswegen. Denn viele Zechen sind inzwischen zu. Der Ort habe sich „von einer Kohle- und Stahl-Stadt zu einer Stadt der Kultur, moderner Dienstleistungen, IT, Wirtschafts- und Bildungseinrichtungen“ entwickelt, lobt Ovais Sarmad vom Klimasekretariat der Vereinten Nationen.
Tagebaue und Kraftwerke dicht machen, neue Jobs für die Kohlekumpel, darum ringt gerade auch Deutschland - und es muss eine globale Aufgabe im Kampf um das Weltklima sein.
Deutschland ohne Fortschritte bei Kohleausstieg
Wenn Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) an diesem Montag den Deutschen Pavillon auf dem 24. UN-Klimagipfel eröffnen, können sie keine Fortschritte beim deutschen Kohleausstieg verkünden. Das war anders geplant. Wenigstens ein paar Sofortmaßnahmen für das Klimaschutzziel 2020 hätten sie in der Tasche haben sollen, so wollte es die Bundesregierung. Und kurz sah es so aus, als könnten sie schon ein Gesamtkonzept für den Weg aus der Braun- und Steinkohle vorzeigen.
Aber die Kohlekommission, in der Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaftler und Klimaschützer an einem Tisch sitzen, dreht eine Extrarunde, weil die betroffenen Bundesländer konkretere Zusagen wollen. „Dann brauchen wir halt etwas länger“, sagte Schulze. Allein, dass es die Kommission gebe, sei das „richtige Signal“. Die Verzögerung regt deutsche Klimaschützer auf, wird in Kattowitz registriert werden. Die Verzögerung wird aber nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Auch nicht, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht vorbeischaut.
Klimadiplomaten aus mehr als 200 Ländern
Die Klimadiplomaten aus mehr als 200 Ländern haben große Aufgaben vor sich in den knapp zwei Wochen, die sie in Polen zusammensitzen. Ein Regelwerk muss her für die Umsetzung des Paris-Abkommens, in dem die Weltgemeinschaft sich das Ziel gesetzt hat, die Erderwärmung auf „deutlich unter zwei Grad“, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Schon jetzt hat sich die Erde bereits um etwa ein Grad erwärmt. Würden die Staaten ihre bisherigen Ankündigungen umsetzen, würden es wohl drei Grad - mit katastrophalen Folgen.
Damit es so weit nicht kommt, sollen nun alle fünf Jahre ehrgeizigere nationale Klimaschutz-Pläne auf den Tisch gelegt werden, zwischendurch gibt es globale Bestandsaufnahmen, wo der Klimaschutz gerade steht. Dazu müssen die nationalen Berichte vergleichbar und verlässlich sein - die Regeln dafür werden gerade erarbeitet. Wenigstens zu den Grundsätzen solle es bis Mitte Dezember einen Kompromiss geben, damit dieser Klimagipfel als Erfolg gelten kann.
Es geht etwa um die Frage, wie der Bestand und Schutz von Wäldern, die ja das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre ziehen, angerechnet werden darf. Was technisch klingt, bedeutet nicht weniger, als das Pariser Abkommen auch wirklich mit Leben zu füllen.
Ziel 2020
Ziel Nummer zwei: 2020 sollen ehrgeizigere nationale Klimaschutzpläne vorliegen. Weil das Pariser Abkommen schneller in Kraft trat als geplant, war für dieses Jahr aber noch keine globale Bestandsaufnahme vorgesehen. Sie wird ersetzt durch den Talanoa-Dialog - das Wort stammt aus Fidschi und bezeichnet einen lösungsorientierten, respektvollen Austausch. Egal, wie es heißt: Die Staaten sollen sich jetzt gegenseitig motivieren, ihre Ziele hochzuschrauben.
Außerdem geht es, wie immer bei Klimaverhandlungen, ums Geld. Und da gibt es gleich mehrere Baustellen. Unter anderem geht es um den milliardenschweren Grünen Klimafonds, der eifrig Projekte finanziert und deswegen demnächst wieder aufgefüllt werden muss. Deutschland hat hier schon vorgelegt. Statt wie bisher 750 Millionen Euro hat die Bundesregierung nun 1,5 Milliarden ab 2019 zugesagt. Andere sollten das genauso machen, mahnt Entwicklungsminister Müller.
Schwierige Ausgangslage
Viele Aufgaben also - und eine schwierige Ausgangslage. Zwar hat die internationale Klimadiplomatie den Donald-Trump-Schock halbwegs verdaut - der US-Präsident hat angekündigt, das Pariser Abkommen zu verlassen. In Verhandlungen verhalten sich die US-Delegationen nach Teilnehmerangaben „unauffällig“. Mehrere US-Staaten, Städte und US-Unternehmen zeigen sich seit Trumps Amtsantritt erst recht engagiert. Unklar ist aber weiterhin, wer die milliardenschwere Finanzierungslücke schließen soll, die der US-Präsident reißen will.
Und dann ist da Brasilien, Heimat der „Lunge der Welt“, wie das Amazonasgebiet als weltgrößter CO2-Speicher genannt wird. Der künftige rechtspopulistische Staatschef Jair Bolsonaro will weitere Rodungen im Regenwald zulassen. Zudem spielt er mit dem Gedanken, ebenfalls das Pariser Klimaschutzabkommen zu verlassen.
Stärkeres Bewusstsein
Andererseits: Der Hitze- und Dürresommer in Europa hat den Klimawandel ins Bewusstsein der Menschen gerückt, die Folgen sind auch im Winter noch sichtbar - der Rhein etwa hat noch immer zu wenig Wasser, um voll beladene Tankschiffe zu tragen. Der sogenannte 1,5-Grad-Bericht der Vereinten Nationen hat überdeutlich gemacht, dass der Kampf um jedes Zehntelgrad sich lohnt, um den Anstieg der Meeresspiegel, die Zunahme von Wetterextremen und den Verlust der Artenvielfalt einzudämmen.
Die weltweiten Treibhausgas-Emissionen sind auf einem Höchststand, die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre auch. UN-Klimaschutz-Chefin Patricia Espinosa nennt diesen 24. Weltklimagipfel schon „Paris 2.0“. Wenn der „Geist von Paris“ in Kattowitz tatsächlich auflebt, können auf diesem Klimagipfel entscheidende Weichen gestellt werden.
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