Votum in Straßburg: Neue EU-Kommission kann loslegen
Votum in Straßburg: Neue EU-Kommission kann loslegen
(dpa/jt) - Das Europaparlament hat das Team von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestätigt. Bei der Wahl am Mittwoch stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für die 26 Kommissare, zu denen auch der Luxemburger Nicolas Schmit zählt. 461 Abgeordnete wählten für die neue EU-Kommission, 157 dagegen. 89 Parlamentarier enthielten sich.
Erstmals seit mehr als 50 Jahren stellt nun Deutschland wieder die Spitze der mächtigen Brüsseler Exekutive - und erstmals überhaupt übernimmt eine Frau den EU-Chefposten.
Von der Leyen war bereits im Juli als Präsidentin der wichtigsten EU-Behörde gewählt worden. Nachdem nun auch ihr Team vom Europaparlament bestätigt wurde, kann sie am Sonntag (1. Dezember) ihr Amt antreten und ihre Vorgänger um den Luxemburger Jean-Claude Juncker ablösen. Juncker war auf Twitter unmittelbar nach der Abstimmung einer der ersten, der gratulierte.
"Lasst uns an die Arbeit gehen"
Von der Leyen präsentierte den Abgeordneten in Straßburg ihr Team von 26 Kommissaren und warb um Zustimmung. „Meine Botschaft ist einfach: Lasst uns an die Arbeit gehen“, sagte die 61-Jährige. Bei ihrer Rede im Plenum versprach die neue EU-Kommissionspräsidentin einen umfassenden und für alle Bürger spürbaren Wandel in Europa. „Wir tun das, weil es das Richtige ist, nicht weil es einfach sein wird“, sagte die konservative deutsche Politikerin am Mittwoch vor der entscheidenden Abstimmung über ihre Kommission.
"Green Deal" versprochen
Sie warb in ihrer Rede erneut für ihre wichtigsten Ziele, darunter eine neue, stärkere Rolle Europas in der Welt und ein ehrgeiziger Klimaschutz im Rahmen eines „Green Deal“, den sie quasi als erste Amtshandlung angehen will. Zudem betonte sie die Bedeutung der Digitalisierung der Wirtschaft. Europa wolle Regeln und Standards für einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten setzen, um Vertrauen in die vernetzte Wirtschaft zu schaffen.
Sie bekräftigte ihre Ankündigung eines Konzepts für Asyl und Migration und erinnerte dabei an die 39 Toten, die kürzlich einem Kühllaster in Großbritannien entdeckt worden waren. „Wir sind uns alle einig, dass dies niemals geschehen darf“, sagte von der Leyen. Die Menschen erwarteten, dass Europa eine gemeinsame Lösung für die Herausforderungen der Migration finde. Großbritannien sagte sie trotz des für Ende Januar geplanten Brexits eine enge Partnerschaft zu.
Persönliche Erinnerungen an den Krebs
Persönlich wurde von der Leyen in ihrer Kampfansage gegen den Krebs. „Als ich als Mädchen in Brüssel lebte, starb meine kleine Schwester im Alter von elf Jahren an Krebs“, sagte die 61-Jährige, die als Tochter des damaligen EU-Beamten Ernst Albrecht zeitweise in der belgischen Hauptstadt aufwuchs. „Ich erinnere mich an die enorme Hilflosigkeit meiner Eltern, aber auch der medizinischen Betreuer, die sich so liebevoll um sie kümmerten.“ Jeder kenne eine ähnliche Geschichte, sagte von der Leyen. „Europa wird im Kampf gegen Krebs die Führung übernehmen.“
Die 61 Jahre alte ehemalige deutsche Ministerin war im Juni von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union für den EU-Spitzenposten ausgesucht und im Juli mit einer sehr knappen Mehrheit von nur neun Stimmen vom Europaparlament bestätigt worden. Das Abstimmungsergebnis für ihr Team fiel nun deutlich besser aus.
Die drei größten Parteienfamilien im Parlament - die christdemokratische Europäische Volkspartei, die sozialdemokratische S+D und die liberale Renew - sind alle mit Kommissaren in der neuen Führung vertreten und hatten vorab Unterstützung signalisiert. Damit war eine komfortable Mehrheit der 751 Abgeordneten absehbar. Die Grünen hatten Enthaltung angekündigt, die Linke Ablehnung.
Zum Vergleich: Von der Leyens Vorgänger Juncker hatte im Oktober 2014 bei der Abstimmung über sein Kollegium mit 27 Kommissaren 423 Ja-Stimmen erhalten, 209 Abgeordnete stimmten damals gegen das Personalpaket, 67 enthielten sich. Vier Jahre zuvor hatte der konservative Portugiese José Manuel Barroso für seine Kommissionsmanschaft 488 Stimmen, 137 Gegenstimmen und 72 Enthaltungen bekommen.
Für die EVP lobte Fraktionschef Manfred Weber die Prioritäten der neuen Kommissionschefin und würdigte die Tatsache, dass mehr Frauen denn je in dem Spitzengremium vertreten sein werden: „Eine Schlüsselerrungenschaft ist eine bessere Vertretung der Geschlechter.“
Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García Pérez zeigte sich ebenfalls zufrieden. Für die neue Kommission habe der „Green Deal“ Priorität. Es sei aber mehr als eine grüne Agenda nötig. „Wir brauchen eine soziale Seele.“ Renew-Fraktionschef Dacian Ciolos sagte, Europa müsse sich für die großen Herausforderungen rüsten. „Ich fordere drei Dinge: Vision, Leidenschaft und Ehrgeiz.“
Grünen-Fraktionschefin Ska Keller äußerte die Befürchtung, dass der Klimaschutz nur halbherzig verfolgt werde, weil kein Umbau der Landwirtschaft absehbar sei. Die Linke will von der Leyen und ihrem Team als kritische Opposition auf die Finger schauen, wie Fraktionschef Martin Schirdewan sagte.
Verzögerter Start
Aufgabe der EU-Kommission ist es, Gesetze vorzuschlagen und die Einhaltung des gemeinsamen europäischen Rechts zu überwachen. Das Kollegium der Kommissare ist ähnlich organisiert wie eine Regierung mit unterschiedlichen Ressorts. Jedes EU-Land soll mit einem Kommissar vertreten sein. Wegen des bevorstehenden Brexits hat Großbritannien keinen Vertreter mehr nominiert und sich damit ein EU-Strafverfahren eingehandelt. Das soll von der Leyens Amtsantritt aber nicht aufhalten.
Die damalige deutsche Verteidigungsministerin (CDU) war im Juni von den EU-Staats- und Regierungschefs für den EU-Spitzenposten ausgesucht worden. Weil drei designierte Kommissare vom Parlament gestoppt wurden und ersetzt werden mussten, konnte sie den ursprünglichen Starttermin 1. November nicht halten.
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