Vor 75 Jahren: Kriegsende in Europa
Vor 75 Jahren: Kriegsende in Europa
Endlich. Die Waffen schweigen. Die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands setzt dem Krieg in Europa nach sieben Jahren entsetzlichen menschlichen Leids ein Ende, während im Pazifik der Krieg noch knapp vier Monate weiter toben wird. An diesem historischen Tag – dem 8. Mai 1945 – liegen Jubel und Trauer eng beieinander. Ob in New York, London, Paris oder Luxemburg. Überall gehen die Menschen auf die Straße und feiern ausgelassen den Sieg über Nazi-Deutschland.
Zum anderen wird aber auch erst jetzt das ganze Ausmaß dieses Krieges deutlich. Zurück bleibt ein ausgebluteter Kontinent, zerbombte Städte, Millionen Tote ... Und so folgt dem ausgelassenen Jubel schon bald die Ernüchterung. Denn dieser Krieg ist eine historische Zäsur. Ein ganzer Kontinent liegt in Trümmern. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern.
Die perfide Gründlichkeit und der blinde Fanatismus, mit der die Nazis ihre Ziele verfolgten, lassen auch heute noch die Menschen erschaudern. Denn es war kein Krieg wie jeder andere. Ziel der Nazis war nicht nur die Eroberung von Gebieten, sondern die systematische Ausrottung ganzer Volksgruppen, um Hitlers Traum vom „Dritten Reich“ und vom „Lebensraum im Osten“ zu verwirklichen. Diesem Wahn fielen Abermillionen Unschuldige zum Opfer.
Wer nicht ins abstruse, antisemitische Weltbild der Nazis passte, besaß keinerlei Rechte und konnte demnach ohne jedwede Rücksicht deportiert und ermordet werden. Opfer dieser menschenverachtenden Politik waren in erster Linie Juden – in der Naziideologie „Untermenschen“, denen jedwedes Existenzrecht aberkannt wurde. Sechs Millionen in Europa ansässige Juden müssen das mit ihrem Leben bezahlen. In die Kategorie von „Untermenschen“ fallen aber nicht nur sie. Dazu zählen u. a. auch Sinti und Roma – alle, die nicht in die Schablone des „arischen Herrenmenschen“ passen.
Die von den Nazis besetzten Länder werden hemmungslos ausgebeutet, Widerstand erbarmungslos unterdrückt. Das bekommen vor allem die Russen nach dem Überfall auf die Sowjetunion zu spüren. Jahrelang muss die Rote Armee die Hauptlast des Krieges in Europa tragen und bezahlt dafür einen hohen Preis. Demnach sollte ihnen auch die Ehre gebühren, die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht entgegenzunehmen.
Verbrannte Erde
Aus Sicht der Sowjetunion ein wichtiges, historisches Detail. Denn die Nazis hinterließen bei ihrem Einmarsch in Russland und nach ihrem Rückzug aus den besetzten Gebieten verbrannte Erde. Keine andere Nation musste mit 26 Millionen Toten so viele Opfer beklagen. 71.000 sowjetische Dörfer werden zerstört. Und schließlich war es die Rote Armee, die die Reichshauptstadt Berlin einnahm und dem Nazi-Regime damit den Todesstoß versetzte. Nach dem Selbstmord von Adolf Hitler am 30. April in Berlin wird Admiral Karl Dönitz Nachfolger im Amt des Reichspräsidenten. Er versucht in den letzten Kriegstagen verzweifelt einen Separatfrieden mit den Westalliierten zu erreichen und verweigert zeitgleich eine Kapitulation vor der Roten Armee.
So kommt es zunächst zur Unterschrift der bedingungslosen Kapitulation im alliierten Hauptquartier von General Dwight D. Eisenhower in Reims am 7. Mai durch General Alfred Jodl. Das Kalkül von Dönitz: So viele Wehrmachtsangehörige wie möglich sollen sich den britischen und amerikanischen Truppen im Westen ergeben, um nicht in sowjetische Kriegsgefangenschaft zu geraten. Auf Drängen der Sowjets wird diese Zeremonie dann zwei Tage später am 9. Mai kurz nach Mitternacht in Berlin-Karlshorst wiederholt. Die Urkunde wird kurzerhand auf den 8. Mai zurückdatiert. Diesmal ist General Georgi Konstantinowitsch Schukow der Zeremonienmeister. Die Vertreter der Westalliierten spielen nur eine Nebenrolle.
Die Unterschrift unter die Kapitulationsurkunde ist aber letztlich nur das Eingeständnis für eine militärische Niederlage, die spätestens mit der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 – also ein knappes Jahr zuvor – bereits unwiderruflich feststand. Einigen hochrangigen deutschen Militärs ist das bewusst. Ein Putschversuch unter der Führung von Claus Schenk Graf von Stauffenberg scheitert aber im Juli 1944. Die Aufständler werden ohne Gerichtsprozess hingerichtet. Die letzte Chance auf eine frühzeitige Beendigung des Krieges ist vertan.
Die Nazischergen – allen voran der sogenannte Führer Adolf Hitler – befürworten eine Fortführung des Krieges bis zum bitteren Ende. Kapitulation undenkbar. Einerseits aus Furcht, sie würden für die Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Andererseits ist dies aber auch nochmal Ausdruck des blinden Fanatismus, der zwar jedweder rationalen Grundlage entbehrt, der aber letztlich dazu führt, dass dieser Krieg in den letzten Kriegstagen noch Hunderttausende von Opfern fordern wird und erst dann beendet wird, nachdem – abgesehen von einigen, wenigen Widerstandsnestern – ganz Deutschland unter Kontrolle der Alliierten ist.
Im Mahlstrom des Krieges
Vertriebene Zivilisten geraten zwischen die Fronten. KZ-Häftlinge sterben auf sogenannten „Todesmärschen“, nachdem die Nazis versuchen die Spuren ihrer Vernichtungspolitik zu verwischen. Und die Hauptverantwortlichen? Sie stehlen sich in den letzten Kriegstagen aus der Verantwortung. Nach Adolf Hitler nimmt sich auch Propagandaminister Josef Goebbels das Leben. SS-Chef Heinrich Himmler schluckt nach seiner Verhaftung eine Zyankali-Kapsel.
Ihrem Beispiel wird später auch Herrmann Göring folgen – lange Zeit Hitlers Stellvertreter. Er ergibt sich zunächst den Amerikanern in der Hoffnung, ernsthaft mit den Alliierten über ein Friedensabkommen verhandeln zu können. Zitat: „Nach dem Krieg schüttelt man sich die Hände und alles ist vergessen“. In seiner Verblendung erkennt Göring nicht, dass dieser Krieg eben nicht vergessen werden kann. Am 20. November beginnt der Prozess gegen ihn und die NS-Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg. Nach dem über ihn verhängten Todesurteil, nimmt Göring sich in seiner Gefängniszelle mit einer Giftkapsel das Leben.
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