Verzweifelt auf den Geröllhügeln des syrischen Erdbebengebiets
Verzweifelt auf den Geröllhügeln des syrischen Erdbebengebiets
Von Michael Wrase
Ein von der BBC veröffentlichtes Drohnen-Video zeigt eine Trümmerwüste in der nordwestsyrischen Stadt Sarmada: Fünf große Wohnblöcke sind dort wie Kartenhäuser zusammengefallen. Da schweres Räumgerät fehlt, versuchen die Rettungsmannschaften mit Spitzhacken die Betondecken zu zertrümmern, um Opfer und Überlebende bergen zu können. Erfolg scheinen sie dabei nicht zu haben. Verzweifelt stehen die Helfer auf den Geröllhügeln, unter denen mindestens 50 Menschen begraben wurden.
Unter ihnen sind auch Tulia und Lilac Sharwardi. Die Zwillinge wurden nur fünf Jahre alt. Schon vor dem gestrigen Erdbeben waren in Syrien immer wieder Gebäude eingestürzt, die durch den bald zwölfjährigen Bürgerkrieg baufällig geworden wurden. Auch die Infrastruktur in dem Land ist überwiegend marode. Bei den überwiegend illegal errichteten Neubauten wurden zudem elementare Sicherheitsstandards ignoriert. Einem Erdbeben der Stärke 7,5 auf der Richterskala konnten viele Gebäude daher nicht standhalten.
Behelfsunterkünfte zerstört
Besonders katastrophal ist die Lage in den an die Südost-Türkei grenzenden Rebellengebieten, welche von islamistischen, protürkischen oder kurdischen Milizionären kontrolliert werden. Mehr als 1,5 Millionen syrische Inlandsflüchtlinge lebten dort in Zelten oder primitiven Behelfsunterkünften, welche schwer beschädigt wurden, ohne die Bewohner unter sich zu begraben. Nach der Naturkatastrophe haben die meisten von ihnen kein Dach mehr über dem Kopf, stehen im Regen oder Schneesturm, der die Rettungsarbeiten in einigen Regionen von Nord-Syrien zusätzlich behindert.
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„Tausende von Frauen und Kindern sind jetzt besonders gefährdet, da die Temperaturen nachts unter den Nullpunkt sinken“, warnt Tanya Evans, die für Syrien zuständige Direktorin der Hilfsorganisation „International Rescue Committee“ (IRC). Nach dem Erdbeben rechnet sie mit „einer neuen Krise innerhalb mehrerer Krisen“. Schon vor der Naturkatastrophe seien die einigen Gesundheitseinrichtungen im Nordwesten Syriens völlig überlastet gewesen.
Tausende von Frauen und Kindern sind jetzt besonders gefährdet, da die Temperaturen nachts unter den Nullpunkt sinken.
Tanya Evans, Hilfsorganisation „International Rescue Committee“
Es wird vermutlich noch Tage dauern, bis bekannt ist, wie viele Menschen bei dem Erdbeben ihr Leben lassen mussten. Nach Erkenntnissen der von Großbritannien unterstützten Rettungsorganisation „Weißhelme“ wurden bis zum frühen Montagnachmittag in den von der syrischen Opposition kontrollierten Gebieten im Nordwesten des Landes mehr als 290 Leichen und 465 Verletzte geborgen. Die Suche nach Überlebenden und Toten gehe weiter, teilten die Weißhelme auf Twitter mit. Es sei zu befürchten, dass sich die Zahl der Opfer in den nächsten Tagen verdreifachen werde.
Assad-Regime bittet um Hilfe
In den vom Assad-Regime beherrschten Städten Aleppo, Lattakia, Hama und Tartus sollen 526 Menschen getötet worden sein. Die Zahl der Verletzten wurde mit über 1.500 angegeben. Der Leiter des Nationalen Erdbebenzentrums, Raed Ahmed, bezeichnete das Erdbeben als das „stärkste seit der Gründung des Zentrums im Jahr 1995“.
Wie die türkische Regierung bat auch das Regime in Damaskus um internationale Überlebenshilfe, die am Nachmittag aus Iran, Saudi-Arabien, Russland, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten eintraf. Darunter waren auch Feldlazarette, die für die gegenwärtig herrschenden extremen Wetterbedingungen geeignet sind.
Die von der islamistischen Opposition kontrollierten Gebiete im Nordwesten können von der Türkei aus mit Überlebenshilfe versorgt werden. Nach Angaben des Internationalen Überlebenskomitee (IRC) ist der humanitäre Hilfsplan für Syrien mit weniger als 50 Prozent der erforderlichen vier Milliarden Euro bereits stark unterfinanziert.
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