Verhaftungen in der Spionage-Hochburg Wien
Verhaftungen in der Spionage-Hochburg Wien
Von Andreas Schwarz (Wien)
„In keinem anderen Land Europas sind so viele Spione stationiert wie in Österreich.“ So beginnt einer der zahllosen Berichte in österreichischen Zeitungen am Tag nach der Bekanntgabe, dass vier russische Diplomaten unter Spionageverdacht des Landes verwiesen werden. Wieder vier Diplomaten, muss man hinzufügen, denn schon im Frühjahr sind im Zuge der Ausweisungen in den Ländern der EU auch mutmaßliche Spione aus Österreich verbannt worden, im Dezember wurde ein weiterer mutmaßlicher Spion enttarnt.
Und kürzlich wurde mit Drohnenaufnahmen auf dem Dach der russischen UN-Botschaft im Bezirk Wien-Donaustadt eine ganze Armada an Satellitenschüsseln einer Spionageanlage entdeckt, die offenbar vom russischen Auslandsgeheimdienst SWR betrieben wird. Die Schüsseln dienen definitiv nicht zu Kommunikationszwecken der Botschaft, heißt es in einem Enthüllungsbericht des ORF-Senders FM4.
Wien gilt seit den Tagen des Kalten Krieges als Spionage-Hochburg. Und dass Wien der Amtssitz von zahlreichen internationalen Organisationen, von der UNO über die Internationale Atomenergiebehörde IAEO bis zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist, hat den Standort für Geheimdienstaktivitäten nochmal attraktiver gemacht – auch was den Arbeitsplatz für Spione betrifft. Denn viele sind Diplomaten und den Organisationen zugeteilte Beschäftigte.
Überwachung von Regimegegnern
Federführend bei nachrichtendienstlichen Tätigkeiten in Österreich ist aber Russland. 181 Russen sind beim Außenministerium als Diplomaten akkreditiert (77 bei der Botschaft, 100 bei internationalen Organisationen, vier im Generalkonsulat in Salzburg), weitere 143 sind dem „administrativ-technischen Personal“ zuzurechnen – und „rund die Hälfte der an der russischen Botschaft tätigen Diplomaten sind Nachrichtendienstler“, sagte ein Geheimdienst-Experte dem „Kurier“.
Rund die Hälfte der an der russischen Botschaft tätigen Diplomaten sind Nachrichtendienstler.
Ein Geheimdienst-Experte
Als weitere „führende“ Spionage-Nationen gelten die Türkei, China und der Iran. Alle drei Staaten stehen im Verdacht, ihre ausländische Community und Regimegegner, die in Österreich leben, auszuspionieren – die Türkei etwa die kurdische Community in Österreich, während China auch in Wien ein Polizeibüro unterhalten soll (so wie mehrfach auch in den USA), das als Servicestelle für Auslandschinesen getarnt ist.
Beliebt war Wien im Kalten Krieg natürlich auch für westliche Geheimdienste, weil es nahe am „Eisernen Vorhang“ liegt. Zudem sind die Strafen für nachrichtendienstliche Tätigkeit fürs Ausland in Österreich vergleichsweise gering (bis zu drei Jahre Haft). Und Spionage-Hotspot zu sein, war lange Zeit sogar ein bisschen eine Art Renommee und Folklore. „Der dritte Mann“ von Orson Welles und zahlreiche andere Filme zeugen davon.
„Unvereinbare Handlungen“
Die nun ausgewiesenen russischen Diplomaten – zwei der bilateralen Botschaft, zwei der ständigen Vertretung bei der UNO – haben laut offizieller Außenministeriums-Darstellung „mit ihrem diplomatischen Status unvereinbare Handlungen“ vorgenommen. Und der Zeitpunkt ihrer Ausweisung ist besonders heikel: Sie erfolgte einen Tag nach dem Besuch von Bundespräsident Alexander van der Bellen in Kiew, wo er die Ukraine der österreichischen Solidarität versicherte, nachdem er tags zuvor von Russlands „Kolonialkrieg“ gesprochen hatte. Der Zorn des russischen Botschafters (und der rechtspopulistischen, Russland-freundlichen FPÖ) war ihm sicher. Moskau kündigte sogleich „unvermeidliche Gegenmaßnahmen“ an.
Gerüchte, dass die Diplomatenausweisung jetzt erfolgte, um die internationale Gemeinschaft ruhig zu stimmen angesichts der kommenden OSZE-Konferenz in Wien samt Anreise russischer Parlamentarier, die eigentlich auf der Sanktionsliste stehen, werden vom Außenministerium zurückgewiesen. 81 Abgeordnete aus 20 EU-Staaten hatten Österreich per Brief aufgefordert, die Einladung an die Russen zurückzunehmen (die OSZE-Konferenz findet am 24. Februar aus Anlass des ersten Jahrestages des Angriffskriegs in der Ukraine statt).
Außenminister Alexander Schallenberg verteidigte am Freitag die Einladung, zu der Österreich aufgrund des Amtssitzabkommens (als OSZE-Gastgeber) und des Völkerrechts verpflichtet sei. Zugleich warnte er die russischen Abgeordneten, die ihre Teilnahme am Freitag bekräftigten, ihren Aufenthalt in Wien zum Besuch etwa des gleichzeitig stattfindenden Akademikerballs zu nützen – das wäre „ein eklatanter Bruch des Völkerrechts“.
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