Vereinbarung mit den Taliban für Machtwechsel getroffen
Vereinbarung mit den Taliban für Machtwechsel getroffen
(jwi/dpa) - Angesichts des Siegeszugs der Taliban in Afghanistan hat Deutschland seine Botschaft in Kabul geschlossen und das Personal zum militärischen Teil des Flughafens der Hauptstadt verlegt. Die Taliban rückten am Wochenende bis Kabul vor, wiesen ihre Kämpfer jedoch an, nicht in die Stadt einzudringen. Ein Gefecht um die Millionenmetropole gab es zunächst nicht. Doch auch die USA begannen mit der Räumung ihrer Botschaft.
Der afghanische Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal sagte am Sonntag, es gebe eine Vereinbarung mit den Taliban für einen friedlichen Machtwechsel. Verteidigungsminister Bismillah Chan Mohammadi erklärte in einer auf Facebook veröffentlichten Videoansprache, als Vertreter der Streitkräfte garantiere er die Sicherheit Kabuls. Die Menschen sollten nicht in Panik verfallen.
Auch die Taliban versuchten, die Furcht vor einer Schlacht um Kabul zu zerstreuen. Suhail Schahin, ein Unterhändler bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, erklärte der BBC: „Wir versichern den Menschen (...) in der Stadt Kabul, dass ihr Hab und Gut und ihre Leben sicher sind.“ Es werde „keine Rache an irgendjemandem“ geben. Die Taliban-Kämpfer hätten Befehl, Kabul nicht zu betreten. „Wir warten auf eine friedliche Übergabe der Macht.“
Kabul war am Sonntag die letzte Großstadt unter Kontrolle der Regierung. Am Vorabend hatten die Taliban Masar-i-Scharif im Norden und am Sonntagmorgen Dschalalabad im Osten eingenommen. In Masar-i-Scharif war bis vor wenigen Wochen ein großes Feldlager der Bundeswehr gewesen, seit Ende Juni sind die deutschen Soldaten aus dem Krisenstaat abgezogen. Die Bundeswehr hatte zuletzt afghanische Sicherheitskräfte im Zuge des Nato-Einsatzes „Resolute Support“ ausgebildet.
Die Erklärung wurde während unbestätigter Berichte in sozialen Medien veröffentlicht, dass Taliban-Kämpfer bereits in die Stadt vorgedrungen seien. In Kabul spielten sich chaotische Szenen ab. Es kam zu einer Schießerei vor einer Bank, wie ein Bewohner der Stadt sagte.
Viele Menschen versuchten, ihr Erspartes abzuheben, Lebensmittel zu kaufen und zu ihren Familien heimzukehren. Ein Soldat aus Kabul sagte, seine gesamte Einheit habe die Uniformen abgelegt.
Russische Botschaft bleibt, Deutsche fliehen
Die deutsche Bundeswehr wird an diesem Montag mit der Evakuierung deutscher Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul beginnen. Mehrere Transportmaschinen vom Typ A400M sollen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in die afghanische Hauptstadt fliegen und die Menschen in Sicherheit bringen. Fallschirmjäger sollen den Einsatz absichern. Auch die „Bild“-Zeitung und der „Spiegel“ hatten vom unmittelbar bevorstehenden Beginn der Evakuierungsaktion berichtet.
Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte am Samstag erklärt, sie könne zu operativen Details des Einsatzes keine Auskunft geben. Diese Linie wurde am Sonntag nochmals vom Ministerium bestätigt. Kramp-Karrenbauer hatte angesichts des raschen Vorrückens der Taliban mitgeteilt: „Es hat jetzt absolute Priorität, dass wir die zu Schützenden sicher nach Deutschland bringen.“
Trotz des Vormarschs der Islamisten will Russland seine Botschaft in der afghanischen Hauptstadt vorerst nicht räumen. Eine Evakuierung sei nicht geplant, sagte der Afghanistan-Beauftragte des russischen Außenministeriums, Samir Kabulow, am Sonntag der Agentur Interfax. „Der Botschafter und unsere Mitarbeiter nehmen ihre Aufgaben in aller Ruhe wahr.“
Pakistan schließt wichtigen Grenzübergang
Pakistan hat angesichts des Vormarsches der Taliban einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland geschlossen. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen.
Die Entscheidung sei getroffen worden, nachdem die afghanische Seite der Grenze nach der Eroberung von Dschalalabad nun unter der Kontrolle der Taliban stehe. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest.
Seehofer hält Afghanistan-Einsatz für gescheitert
Der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer hält den Bundeswehreinsatz in Afghanistan für gescheitert und rechnet mit einer neuen Fluchtbewegung nach Europa. „Was im Moment in Afghanistan geschieht, ist ein Desaster“, sagte der CSU-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag). „Das große Ziel war es, die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern und Stabilität ins Land zu bringen. Heute muss man leider festhalten: Das ist gescheitert.“
Die Motivation für den Einsatz der Bundeswehr sei jedoch berechtigt gewesen. Hinzu sei die Bündnistreue zu den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gekommen. „Aber im Ergebnis ist der langfristige Einsatz nach 20 Jahren relativer Stabilität gescheitert.“ Ein militärisches Eingreifen halte er nun nicht mehr für möglich. „Jetzt schlägt die Stunde der Außenpolitik.“ Diese müsse auf europäischer Ebene abgestimmt werden.
Er rechne jedoch nicht damit, dass aufgrund seiner Entscheidung, bis auf Weiteres nicht mehr nach Afghanistan abzuschieben, mehr Migranten nach Europa kommen. Die Krisenherde, die er genannt habe, hätten vor allem mit der innenpolitischen Situation vor Ort zu tun und nicht mit der Frage, ob abgeschoben wird oder nicht. „Außerdem haben wir bislang ohnehin nur Straftäter und Gefährder nach Afghanistan abgeschoben.“
Albanien will afghanische Flüchtlinge aufnehmen
Albanien will Afghanen vorübergehend aufnehmen, die vor den vorrückenden Taliban aus ihrem Land fliehen. Man komme damit einer Bitte der USA nach, erklärte Ministerpräsident Edi Rama am Sonntag bei Facebook. Auch sehe man sich als Nato-Mitglied dazu verpflichtet. Es gehe darum, Flüchtlinge aufzunehmen, die später in die USA gebracht werden sollen.
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