Unterentwicklung befeuert Extremismus in Mosambik
Unterentwicklung befeuert Extremismus in Mosambik
Von Markus Schönherr (Kapstadt)
Sie krochen tagelang durch den Dschungel, auf der Suche nach ihren Rettern: nach einem der Evakuierungsboote oder nach einem Helikopter der herbeigerufenen Söldner aus Südafrika. Sie wussten: Wenn die Extremisten sie fänden, würden sie aus dem Busch gezerrt und am Straßenrand enthauptet. Bereits in den Tagen zuvor hatten die Islamisten Hunderte ihrer Freunde und Kollegen getötet. „Sie wurden zur Strecke gebracht. Überall liegen geköpfte Körper herum“, sagt ein Insider südafrikanischen Medien. Der Überfall auf die nordmosambikanische Stadt Palma vergangene Woche gilt Beobachtern zufolge als „Weckruf“ in dem lange brodelnden Konflikt: Erstmals hatten die Islamisten, neben Mosambikanern, auch vor Ort stationierte Facharbeiter angegriffen. Das südostafrikanische Land bangt um seine Zukunft.
Religiöser Fundamentalismus war in Mosambik bis vor Kurzem ein Fremdwort. War die Rede von Gewalt, dachten die meisten Mosambikaner an den Bürgerkrieg, der das Land von 1977 bis 1992 plagte. Damals starben eine Million Menschen. Zusätzlich kommt es seit 2017 im Umland der Grenze zum Nachbarn Tansania immer wieder zu Anschlägen durch die Ahlu Sunnah Wa-Jamaa, übersetzt etwa „Anhänger der Tradition“. Lokal sind die Kämpfer auch unter dem Namen Al-Schabaab bekannt. Eine Verbindung zu der gleichnamigen Terrororganisation in Somalia gibt es nicht, allerdings beanspruchte der sogenannte „Islamische Staat“ das Massaker in Palma für sich.
„In jener Nacht wurde unser Dorf angegriffen und Häuser wurden niedergebrannt“, sagt eine 28-jährige Mosambikanerin. Sie war zu Hause mit ihren vier Kindern, als die Bewaffneten über sie herfielen. „Wir versuchten, in die Wälder zu fliehen, aber dann erwischten sie meinen ältesten Sohn und enthaupteten ihn.“ Geht es nach Save the Children, ist auch die Ermordung Minderjähriger in der nordmosambikanischen Provinz Cabo Delgado längst kein Einzelschicksal mehr. Vor Kurzem interviewte die Organisation Bewohner, die den Extremisten entkommen waren. „Unsere Mitarbeiter kämpften mit den Tränen, als sie in den Flüchtlingscamps die Leidensgeschichten von Müttern hörten“, so der Landesdirektor der Hilfsorganisation, Chance Briggs.
Unsere Mitarbeiter kämpften mit den Tränen, als sie in den Flüchtlingscamps die Leidensgeschichten von Müttern hörten.
Chance Briggs, Landesdirektor der Hilfsorganisation Save the Children
Cabo Delgado liegt etwa zwei Tagesreisen von der Hauptstadt Maputo im Süden entfernt. Seit der Entdeckung großer Gasvorkommen in der Region liefern sich internationale Konzerne ein Wettrennen um Förderrechte. Die Bevölkerung hat der Rohstoffboom bislang nicht erreicht. Sie lebt in Armut, vielerorts ohne Wasser, Strom, Schulen und Kliniken. Laut Experten schuf diese Unterentwicklung den Nährboden für Fundamentalismus. Die UNO schätzt, dass der Kampf zwischen Islamisten und Soldaten bislang mehr als 2.000 Tote forderte.
Doch nicht nur die Terroristen haben den Alltag der Fischer und Hirten von Cabo Delgado jäh unterbrochen. Im März warnte Amnesty International vor einem neuen Ausmaß der Gewalt. Islamisten, Regierungssoldaten und Mitarbeiter von privaten Sicherheitsunternehmen hätten „Hunderte Zivilisten“ getötet und mehr als eine halbe Million Bewohner in die Flucht getrieben.
„Nachdem die Sicherheitskräfte etliche Niederlagen gegen die Al-Schabaab einstecken mussten, beauftragte die Regierung die Dyck Advisory Group, ein privates Militärunternehmen aus Südafrika“, so Amnesty. Sie sollen mit Maschinengewehren aus Helikoptern gefeuert und Bomben auf zivile Einrichtungen abgeworfen haben. Die Aktivisten forderten Sanktionen gegen die Sicherheitsfirma. Nach dem Massaker in Palma genießt diese jedoch einen zweifelhaften Doppelruf: Die zuvor in Ungnade gefallenen Söldner sollen während des tagelangen Gefechts Dutzende Menschen mit ihren Helikoptern in Sicherheit gebracht haben.
Militärische Unterstützung aus dem Ausland
Um die Lage in Mosambiks entlegenem Norden zu stabilisieren, sprachen sich einige Beobachter für eine internationale Friedensmission aus. Während diese Lösung weit entfernt scheint, wollen die USA und Portugal Soldaten schicken, um Mosambiks Armee in Terrorbekämpfung auszubilden.
Zusätzlich fordern Experten eine langfristige Lösung. „Plötzlich werden massive Gasvorkommen gefunden, die Potenzial für die Region versprechen. Doch die lokalen Bewohner bekommen nichts davon mit“, so der südafrikanische Politologe Jakkie Cilliers. Die Gewalt beenden, Vertriebene zurück in ihre Dörfer bringen und die Armut beenden – all das muss in Cabo Delgado gleichzeitig passieren. Mit Blick auf europäische, chinesische und US-amerikanische Mineralölkonzerne mahnten jüngst auch die Kirchen der Region: „Unternehmen, die an der Gasförderung beteiligt sind, müssen dabei helfen, nachhaltige Lösungen zu finden, anstatt sich in die Sicherheit ihrer Betriebe zurückzuziehen“.
Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
