Türkei verhängt Lockdown – und Alkoholverbot
Türkei verhängt Lockdown – und Alkoholverbot
Von Gerd Höhler (Athen)
Angesichts explodierender Infektionszahlen fährt Präsident Erdogan jetzt die Wirtschaft drastisch herunter. Ab Donnerstag müssen alle Geschäfte, Restaurants, Schulen und die meisten Betriebe schließen. Die Menschen dürfen ihre Wohnungen nur noch für Einkäufe von Lebensmitteln oder für Arztbesuche verlassen. Reise innerhalb des Landes sind verboten. Vor einer Woche stieg die Sieben-Tage-Inzidenz in der Türkei erstmals seit Beginn der Pandemie über den Wert von 500. Aktuell liegt sie bei 386.
An Ausgangssperren haben sich die meisten Türken gewöhnt. Aber für Unmut sorgt jetzt, dass während des fast dreiwöchigen Lockdowns der Verkauf von Alkohol im ganzen Land verboten wird. Nun tobt ein Proteststurm in den sozialen Medien. Unter dem Hashtag #alkolumedokunma, was so viel bedeutet wie „Finger weg von meinem Alkohol“, machen viele Menschen ihrer Empörung Luft. Die Journalistin Nevsin Mengü schrieb auf Twitter: „Das ganze Land darf keinen Alkohol trinken, weil der Präsident ihn nicht mag – absolut lächerlich!“
Oppositionspolitiker und Regierungskritiker sehen in dem Alkoholverbot einen weiteren Schritt der von Erdogan forcierten Islamisierung von Staat und Gesellschaft. Der Alkohol-Bann sei „rein ideologisch“ begründet und ein Beispiel dafür, wie sich die Regierung „in den Lebensstil der Bürger einmischt“, sagt der Oppositionspolitiker Veli Agbaba. Viele Beobachter vermuten, Erdogan wolle mit dem Alkoholverbot die Reaktionen testen – um dann womöglich per Gesetz eine dauerhafte Prohibition einzuführen.
Erdogan führt seit Jahren einen unermüdlichen Kampf gegen den Alkohol. Die Werbung für alkoholische Getränke ist seit 2013 verboten. Auch in türkischen Filmen und TV-Serien werden Wein, Bier und Schnaps nicht mehr gezeigt. Weil die Behörden bei der Vergabe von Konzessionen für den Verkauf und Ausschank von Alkohol sehr restriktiv sind, gibt es in vielen Restaurants und Läden weder Bier noch Wein.
Ausnahmeregelungen für Touristen
Seit ihrem ersten Wahlsieg 2002 hat die konservativ-islamische Erdogan-Partei AKP die Steuern auf alkoholische Getränke immer weiter erhöht. Der Ladenpreis für eine Flasche des Anisschnapses Raki stieg von umgerechnet einem Euro zu Beginn der Ära Erdogan auf über 20 Euro. 80 Prozent davon fließen in die Staatskasse.
Für Touristen gelten die verschärften Lockdown-Maßnahmen nicht, sie können sich frei bewegen. Ob sie, anders als die Einheimischen, auch ein Bier, ein Glas Wein oder Raki trinken dürfen, ist unklar. Das sollte allerdings die geringste Sorge der Urlauber sein. In kaum einem Land außer Indien ist für Reisende das Risiko, sich mit Corona zu infizieren, derzeit so groß wie in der Türkei.
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