Streitthema Sterbehilfe treibt Frankreich um
Streitthema Sterbehilfe treibt Frankreich um
(dpa) - Wie viel Leiden muss ein todkranker Mensch aushalten, und darf das Leben ärztlich beendet werden? In Frankreich sollte ein Bürgerkonvent nach monatelanger Beratung Premierministerin Élisabeth Borne am Sonntag Handlungsvorschläge zum Lebensende unterbreiten und sich dabei auch der heiklen Frage der Sterbehilfe widmen. An diesem Montag steht ein Treffen mit Präsident Emmanuel Macron an. Der hatte bereits angekündigt, mögliche Gesetzesänderungen könnten bis Ende kommenden Jahres getroffen werden.
In Frankreich ist die aktive Sterbehilfe, also einem Menschen ein tödlich wirkendes Mittel zu verabreichen, verboten. Passive Sterbehilfe durch das Abschalten von Apparaten und indirekte Sterbehilfe, bei der starke Medikamente Schmerzen lindern und als Nebenwirkung das Sterben beschleunigen, sind zulässig.
In den vergangenen Jahren hatten mehrfach Fälle von Schwerkranken, um deren Tod gerungen wurde, für heftige Debatten gesorgt. Diskussionen über Gesetzesänderungen brachten in Macrons erster Amtszeit kein Ergebnis.
„Großer Ethik Ruck“
Im Herbst kam neuer Schwung in die Debatte: Frankreichs Ethikrat erklärte eine ethische Anwendung aktiver Sterbehilfe unter bestimmten strengen Voraussetzungen für denkbar. Zugang sollten nur unheilbar kranke Erwachsene haben, die nicht zu lindernde körperliche oder psychische Leiden haben und deren Erkrankung mittelfristig lebensgefährlich ist. Gesundheitspersonal solle die aktive Sterbehilfe persönlich ablehnen können - verbunden mit der Pflicht, die Betroffenen weiterzuvermitteln.
Das Streitthema spaltet. Mehrere Organisationen aus dem Pflegebereich forderten, das Personal solle bei aktiver Sterbehilfe außen vorgelassen werden. Sie warnten vor einem „großen ethischen Ruck“. Sterbehilfe sei ein „medizinisch verabreichter Tod“, der die Pflege unterwandere und die kollektive Ethik beenden würde.
Mediziner Régis Aubry hingegen schrieb auf der Onlineplattform „Mediapart“: „Pflegen heißt nicht, seine Überzeugungen aufzuzwingen, sondern die der anderen zu respektieren.“ Auch sein Kollege François Guillemot meint: „Es ist nicht am Arzt oder an den Philosophen zu entscheiden. Euthanasie ist keine Sterbehilfe, sondern eine Hilfe, seine Entscheidung zu leben.“ Mehr als 55.000 Menschen unterschrieben eine Petition, die das Verbot aktiver Sterbehilfe in Frankreich als ungerecht bezeichnete.
Sterbehilfe trotz Verbot
Trotz des Verbots nutzen heute schon Menschen aus Frankreich Sterbehilfe. Immer wieder gibt es Berichte über Kranke, die zum Sterben in die französischsprachigen Nachbarländer Schweiz und Belgien fahren. In Belgien dürfen Erwachsene seit 2002 um ihren Tod bitten. Im vergangenen Jahr erhielten dort knapp 3.000 Menschen Sterbehilfe - 53 von ihnen kamen aus Frankreich, wie Zahlen der staatlichen belgischen Sterbehilfe-Kommission belegen.
Der belgische Mediziner Yves de Locht, der selbst Sterbehilfe gibt, meinte im „Parisien“ allerdings: „Wir wollen nicht das Sterbeheim der Franzosen werden!“ Roxane Guichard, deren Mutter durch belgische Sterbehilfe den Tod fand, sagte im Magazin „L'Obs“: „Sich zum Sterben ins Ausland begeben zu müssen, fügt einem großen Leiden weitere Kleine hinzu.“ In Frankreich hätte ihre Mutter auf ihrem letzten Weg von mehr Menschen begleitet werden und in der Heimat sterben können.
Es gibt aber ebenso Berichte über Sterbehilfe, die heimlich in Frankreich geleistet wird. „Wir sind viele, die es gemacht haben“, sagte der Mediziner Guillemot „Mediapart“. Auch der klinische Psychologe Olivier Bury, der in Belgien im Bereich der Sterbehilfe arbeitet, schrieb in der Zeitung „Le Monde“: „"Anderweitige Euthanasie" wird in Frankreich bereits an zahlreichen Orten und in zahlreichen Situationen praktiziert, ohne jegliche Kontrolle oder Rahmen.“ Ein Gesetz gebe Patienten und Ärzten Rechte.
Innerhalb des Bürgerkonvents sprachen sich drei Viertel der per Los bestimmten Mitglieder für einen Weg hin zu aktiver Sterbehilfe aus, sofern diese in Pflege und Begleitung der Patienten eingebettet ist. Doch was die Regierung und Macron aus den Empfehlungen machen werden, ist ungewiss. Macron hatte sich bei dem Thema bisher bedeckt gehalten - wohl auch um Konservative und Katholiken nicht zu verprellen.
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