Politische Krise in Israel spitzt sich weiter zu
Politische Krise in Israel spitzt sich weiter zu
Von Christina Storz und Sara Lemel (Tel Aviv, dpa)
Massenproteste, ein Generalstreik und die Armee in Alarmbereitschaft: In Israel hat sich die politische Krise nach der Entlassung des Verteidigungsministers Joav Galant wegen dessen Kritik an einer höchst umstrittenen Justizreform dramatisch zugespitzt. Zehntausende Menschen strömten in der Nacht auf Montag in Tel Aviv auf die Straße, um gegen die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angeordnete Entlassung und die Reformpläne seiner rechts-religiösen Regierung zu protestieren. Dabei kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei, die Wasserwerfer und Reiterstaffeln einsetzte.
Präsident Izchak Herzog rief die Regierung zum Einlenken auf. „Um der Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen, fordere ich Sie auf, die Gesetzgebung sofort einzustellen“, sagte er am frühen Montagmorgen. Die Menschen seien in tiefer Angst. Derweil gingen die Proteste vor dem Parlament in Jerusalem weiter. Der Dachverband der Gewerkschaften rief zu einem Generalstreik auf. Betroffen ist auch der internationale Flughafen Ben-Gurion bei Tel Aviv.
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Angesichts der brenzligen Lage hielt Netanjahu in der Nacht auf Montag eine Dringlichkeitssitzung des Kabinetts zum weiteren Vorgehen ab. Später meldete er sich auf Twitter zu Wort, wo er angesichts der massiven Proteste erklärte: „Ich rufe alle Demonstranten in Jerusalem, von rechts und von links, dazu auf, verantwortlich zu handeln und keine Gewalt anzuwenden. Wir sind Brüder.“
Verteidigungsminister entlassen
Netanjahu hatte Galant wegen dessen Aufrufs zum Stopp der Justizreform entlassen. Gegen die Reform, mit der der Einfluss des Höchsten Gerichts beschnitten und die Machtposition der Regierung zulasten der unabhängigen Justiz gestärkt werden soll, gibt es seit Monaten heftige Proteste. Der bisherige Verteidigungsminister hatte am Samstagabend die Regierung zum Dialog mit Kritikern aufgerufen. Er warnte, dass die nationale Sicherheit und insbesondere die Einsatzfähigkeit der Armee auf dem Spiel stehe. Seit Wochen ist von wachsendem Unmut im Militär die Rede, aus Protest gegen die Reform waren zahlreiche Reservisten nicht zum Dienst erschienen.
Um der Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen, fordere ich Sie auf, die Gesetzgebung sofort einzustellen.
Präsident Izchak Herzog
Die Regierung wirft dem Höchsten Gericht unbotmäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Künftig soll das Parlament mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufheben können. Der Ministerpräsident soll stärker vor einer Amtsenthebung geschützt werden. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr, manche warnen gar vor der schleichenden Einführung einer Diktatur.
Bürgermeister im Hungerstreik
Universitäten verkündeten aus Protest gegen die Entlassung Galants und die Reformpläne einen vorläufigen Unterrichtsstopp. Mehrere Bürgermeister traten in den Hungerstreik und forderten eine sofortige Eindämmung der nationalen Krise.
Die Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benny Gantz forderten Netanjahus Parteikollegen in einer gemeinsamen Mitteilung auf, „sich nicht an der Zerstörung der nationalen Sicherheit zu beteiligen“. Der Regierungschef habe „eine rote Linie überschritten“.
Netanjahus seit drei Monaten amtierende rechts-religiöse Koalition wollte Kernelemente der Reform eigentlich in den kommenden Tagen umsetzen. Ob wie geplant am Montag über ein Gesetz abgestimmt wird, das Regierungspolitikern mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern verleihen soll, ist angesichts der jüngsten Ereignisse allerdings unklar.
Medienberichten zufolge will sich Netanjahu noch Montag zu der umstrittenen Justizreform äußern. Die genaue Uhrzeit war zunächst unklar. Es wird erwartet, dass Netanjahu einen Stopp der umstrittenen Pläne seiner rechts-religiösen Regierung ankündigen könnte. Das Büro des Regierungschefs wollte dies zunächst nicht bestätigen. Sollte Netanjahu ein Einfrieren der Pläne bekannt geben, könnte dies den Fortbestand seiner rechts-religiösen Koalition gefährden.
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