Sogar der Präsident sorgt sich um den Zustand von Israel
Sogar der Präsident sorgt sich um den Zustand von Israel
Von Pierre Heumann (Tel Aviv)
Die noch junge Koalitionsregierung von Benjamin Netanjahu ist derzeit mit zwei Problemen konfrontiert, die einen großen Teil ihrer Energie beanspruchen. Erstens stößt sie mit ihrer Justizreform auf massiven Widerstand. Dieser richtet sich gegen die Absicht, die Gerichte zu politisieren und das Oberste Gericht zu entmachten. Zweitens unterstützt Netanjahu den Plan seines Rechts-Außen-Ministers Bezalel Smotrich, das Siedlungsprojekt voranzutreiben, was sich negativ auf die Freundschaft zu den USA und zu europäischen Staaten auswirkt.
Der Handlungsspielraum Netanjahus, die Probleme anzugehen, ist eng. Er sieht sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, die er zwar bestreitet und die im Falle einer Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe führen könnte. Die meisten seiner früheren Partner aus der Mitte und der Linken haben es deshalb abgelehnt, sich seiner Koalition anzuschließen. Netanjahu ist deshalb von seinen rechtsextremen Partnern abhängig, was seine Position gegenüber den Radikalen in seiner Koalition schwächt.
Der Entschlossenheit der Regierung, die Justizreform durchzuziehen, steht der Wille einflussreicher Persönlichkeiten und Institutionen gegenüber, diese Reform zu verhindern oder zumindest abzuschwächen. Gegen die Justizreform wehrt sich nicht nur die Vorsitzende des höchsten Gerichts, die von einem „ungezügelten Angriff auf das Justizsystem“ spricht. Seit Wochen kommt es zu Kundgebungen gegen die Reform, an denen sich jeweils rund 100.000 Menschen beteiligen, darunter auch zahlreiche Ex-Offiziere, Professoren und frühere Amtsdirektoren.
Ein Bürgerkrieg wird befürchtet
Mehr als ein Drittel der Israelis befürchtet die Möglichkeit eines Bürgerkriegs wegen der vorgeschlagenen Justizreformen. Dies geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage hervor, die vom Jewish People Policy Institute (JPPI) in Auftrag gegeben wurde. Die Regierung und die Opposition suchen zwar nach einer Kompromissformel, um den Konflikt um die Reform zu lösen. Doch die Positionen verhärten sich.
Wie angespannt die Lage ist, zeigt die Ansprache des israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog. Er warnte am Sonntag vor einem „verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruch“ des Landes. In seiner emotionalen Fernsehansprache forderte er sowohl die Koalition als auch die Opposition auf, den Konflikt um die Justizreform im Dialog zu lösen, und zwar möglichst schnell.
Top-Ökonomen und Spitzen-Manager sowie internationale Banken warnen vor den negativen Konsequenzen der Reform. Sie würde das Vertrauen in die Institutionen schwächen, was letztlich zu einem Wohlstandverlust führen könnte.
Auch Notenbankchef Amir Yaron soll Netanjahu die möglichen Folgen der geplanten Justizreform erläutert und die Warnungen weiter gegeben haben, die führende Wirtschaftsvertreter und Leiter von Kreditratingfirmen bei seinen jüngsten Treffen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ausgesprochen hatten.„Starke und unabhängige“ Institutionen seien notwendig, sagt Yaron, der sich sonst nicht in die Innenpolitik einmischt. In einem offenen Brief warnen zwei ehemalige Gouverneure der israelischen Zentralbank, dass nach der Schwächung der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts das Land für ausländische Investoren weniger attraktiv sein könnte und dass darunter das Kredit-Rating der Wirtschaft leiden würde.
Mehrere hundert Ökonomen haben sich dieser Einschätzung angeschlossen. Bereits sollen auch Banksparer einen Teil ihrer Ersparnisse ins Ausland verschoben haben, sagen Manager von Geldhäusern, ohne aber konkrete Summen zu nennen. Zu den prominenten Reform-Kritikern gehören ebenfalls Manager und Investoren der Hightech-Branche, die etwas mehr als die Hälfte der Exporte erwirtschaftet. So gingen an die 1.000 Angestellte der Tech-Industrie Ende Januar auf die Straße und skandierten „No Democracy - No Hightech“.
Die Risiken der Reform im kleinen Land sind selbst für die weltweit größte Bank JPMorgan Chase & Co. ein Thema. Zu den Sorgen der Anleger über die geplanten Justizreformen kämen auch die zunehmenden geopolitischen Spannungen hinzu, heißt es in einem Bericht. Jacob Frenkel, Israels ehemaliger Notenbankchef und bis vor Kurzem Vorsitzender bei JPMorgan Chase International, betont, dass Israel diese Warnung ernst nehmen sollte. Die Änderungen im israelischen Rechtssystem könnten möglicherweise zu einem Rückgang der Investitionen in Israel führen, sowohl auf den Kapitalmärkten als auch bei den Direktinvestitionen - „und damit zu einer Schwächung des Schekels“ beitragen.
Internationaler Druck wächst
Während die Debatte um Justiz und Wirtschaft für Israel neu ist, handelt es sich beim zweiten Problem der Regierung um ein altes Thema: die Siedlungspolitik. Im Koalitionsvertrag hat Netanjahu den ultra-rechten Parteien zugesichert, die Siedlungen in der Westbank auszubauen. Weil Netanjahus Partner das Versprechen jetzt einlösen, gerät Israel international unter Druck. So prüft der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einen Resolutionsentwurf gegen die Ausweitung jüdischer Siedlungen in Palästinensergebieten. Darin wird Israel aufgefordert, „sofort und vollständig alle Siedlungsaktivitäten in den besetzten palästinensischen Gebieten einzustellen“.
Auch die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zeigen sich „zutiefst beunruhigt“ über die Ausweitung der Siedlungen. „Wir lehnen diese einseitigen Maßnahmen entschieden ab, die lediglich dazu geeignet sind, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen und die Bemühungen um die Aushandlung einer Zweistaatenlösung zu untergraben“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der fünf Staaten, der sich später auch Kanada angeschlossen hat.
Innenpolitisch birgt das Sprengstoff. Netanjahu wird sich nämlich entscheiden müssen, wen er zufriedenstellen will: die befreundeten Staaten oder seine innenpolitischen Verbündeten. Die drohen bereits damit, die von Netanjahu geführte Koalition zu verlassen. Smotrich, der selbst Siedler ist, hat Pläne für etwa 10.000 Häuser in Cisjordanien angekündigt. Dies wäre das größte Paket von Siedlerhäusern, das die Zivilverwaltung des Ministeriums jemals in einer Sitzung vorangebracht hat.
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