Wählen Sie Ihre Nachrichten​

Olympischer Frieden oder russischer Kriegspatriotismus
International 3 Min. 27.01.2023
Teilnahme an Olympischen Spielen

Olympischer Frieden oder russischer Kriegspatriotismus

IOC-Präsident Thomas Bach gab bekannt: Russische Sportler dürfen „nicht gegen die Friedensmission des IOCs verstoßen haben, indem sie den Krieg in der Ukraine aktiv unterstützt haben“. Das sorgt für Unmut.
Teilnahme an Olympischen Spielen

Olympischer Frieden oder russischer Kriegspatriotismus

IOC-Präsident Thomas Bach gab bekannt: Russische Sportler dürfen „nicht gegen die Friedensmission des IOCs verstoßen haben, indem sie den Krieg in der Ukraine aktiv unterstützt haben“. Das sorgt für Unmut.
Foto: dpa
International 3 Min. 27.01.2023
Teilnahme an Olympischen Spielen

Olympischer Frieden oder russischer Kriegspatriotismus

In Moskau streitet man, ob die neuen IOC-Auflagen für die Teilnahme russischer Athleten an internationalen Wettkämpfen ein Affront oder ein Erfolg sind.

Von Stefan Scholl (Moskau)

Von Deutschen sei nichts anderes zu erwarten, zürnt Alexander Tichonow. „Scholz oder Bach, alles eine Sauce. Millionen Menschen haben durch Deutschland gelitten, sie aber suchen Verräter in Russland.“ Der vierfache Biathlon-Olympiasieger Tichonow empört sich nicht über die deutsche Leopard-Panzer-Freigabe für die Ukraine, sondern über eine Pressemitteilung des IOCs.

Am Dienstag hatte der von Thomas Bach geleitete olympische Dachverband bekannt gegeben, unter welchen Bedingungen russische und belarussische Sportler wieder als „neutrale Athleten“ an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können: Sie dürfen nicht gedopt sein, vor allem aber dürfen sie „nicht gegen die Friedensmission des IOCs verstoßen haben, indem sie den Krieg in der Ukraine aktiv unterstützt haben“.

Unklar, wie die Auflagen gehandhabt werden

Sportrussland reagierte heftig und durchaus widersprüchlich. „Das ist ein Erfolg“, erklärte Igor Lewitin, Putin-Berater und Vizepräsident des russischen NOKs. „Die olympische Öffentlichkeit begreift, dass ohne Russland keine Olympischen Spielen stattfinden können.“ Dagegen erklärte Sportminister Oleg Matyzin, Sonderauflagen für russische Athleten seien unzumutbar. „Politik darf nicht mit Sport vermischt werden, Spekulationen über die Kriegsspezialoperation haben hier nichts zu suchen.“

Politik darf nicht mit Sport vermischt werden, Spekulationen über die Kriegsspezialoperation haben hier nichts zu suchen.

Oleg Matyzin, Russlands Sportminister

Wie Lewitin begrüßte auch Tatjana Tarassowa, die Zarin der russischen Eiskunstlauftrainer, den IOC-Beschluss. „Eine positive Sache, darauf haben wir lange gewartet.“ Kremlsprecher Dmitri Peskow und ein Teil der Fachpresse äußerten sich ebenfalls abwartend bis vorsichtig optimistisch. Schließlich kann Moskau es schon als Teilsieg verbuchen, dass das IOC die ukrainischen Proteste gegen die durchaus fragwürdige Wiederzulassung Russlands zum internationalen Sportbetrieb überhört hat


ARCHIV - 15.07.2018, Russland, Moskau: Fußball: WM, Frankreich - Kroatien, Finalrunde Finale im Luschnikistadion. Wladimir Putin (r), Präsident von Russland, Gianni Infantino (l), FIFA-Präsident, stehen vor der Siegerehrung neben dem WM-Pokal. (zu dpa «FIFA und UEFA suspendieren Russland - Leipzig im Europacup weiter») Foto: Christian Charisius/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
FIFA und UEFA schließen Russland aus
Die zwei großen Fußballverbände reagieren auf Russlands Angriff auf die Ukraine. Ein Luxemburger leidet unter dem Ausschluss.

Und noch herrscht Unklarheit, wie die Auflagen am Ende in der Praxis gehandhabt werden. Moskaus Sportfunktionäre sind es gewohnt, dass sich die IOC-Spitze in Hotelzimmergesprächen durchaus in ihrem Sinne beeinflussen lässt. Auch die Dopingaffären der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Bachs Komitee den Russen gerne Hintertürchen öffnet.

Jetzt hat das IOC den Russen die Teilnahme an den im September anstehenden Asien-Spielen in Aussicht gestellt. Aber vorher droht jedem einzelnen gemeldeten Athleten eine „Schwemme kompromittierenden Materials“, wie die Zeitung „Sport Express“ schreibt. Welcher russischer Kandidat hat sich wie zu Putins Ukraine-Feldzug geäußert? Schon jetzt dürften nicht nur ukrainische Journalisten in den sozialen Netzen eifrig nach belastenden Zitaten und Fotos suchen. 

Allein um Russlands Skilanglaufsuperstar Alexander Boltschunow wird es heftige Informationsschlachten geben: Einerseits erklärte der dreifache Olympiasieger im November dem norwegischen Fernsehen zur Ukraine bemüht neutral, alle beteiligten Staaten seien verantwortlich, müssten eine Lösung am Verhandlungstisch finden. Andererseits hatte er im März mit Athleten Medaillen behängt daneben gestanden, als Wladimir Putin bei einer Massenveranstaltung im Moskauer Luschniki-Stadion über den Heldenmut seiner Ukraine-Krieger schwärmte ...

Mehrzahl der Sportler, die offen Frieden fordern, lebt im Westen

Aktive Unterstützung oder zufällige? „Die einen Athleten haben an Kundgebungen teilgenommen, die anderen wollten, aber konnten nicht, es wird ja nicht immer die gesamte Nationalmannschaft eingeladen“, räsoniert die Eisschnelllaufolympiasiegerin und Duma-Abgeordnete Swetlana Schurowa. Wenn das IOC russische Spitzensportler in Anhänger und Gegner des Ukraine-Feldzuges aufteile, leite es die Spaltung Russlands ein.

Wenn das IOC russische Spitzensportler in Anhänger und Gegner des Ukraine-Feldzuges aufteile, leite es die Spaltung Russlands ein.

Swetlana Schurowa, Eisschnelllaufolympiasiegerin und Duma-Abgeordnete

(FILES) In this file photo taken on February 14, 2019 Russian President Vladimir Putin takes part in a training session with members of the Russian national judo team in Sochi. - Russian president Vladimir Putin has been suspended as honorary president of the International Judo Federation (IJF) due to Russia's invasion of Ukraine the sport's governing body announced on February 27. (Photo by Mikhail KLIMENTYEV / SPUTNIK / AFP)
Warum der moralische Kompass neu ausgerichtet werden muss
Die harten Sanktionen gegen Russland sind alternativlos. Nun muss im Sport ein radikales Umdenken einsetzen.

Dabei unterscheidet der russische Staat selbst sehr eifrig zwischen zumindest passiven Befürwortern und aktiven Gegnern der „Spezialoperation“. Den Neinsagern drohen Strafverfahren und Gefängnis. Nicht zufällig lebt die Mehrzahl der Sportler, die öffentlich Frieden fordern, im Westen, ob der Tennisstar Daniil Medwedew oder die Profifußballerin Nadeschda Karpowa.

Die Mehrzahl der Moskauer Experten hoffen, dass das IOC und andere internationale Verbände im Gegensatz zu den Organisatoren der Rallye Dakar auf eine schriftliche Bestätigung der russischen Starter verzichten werden, sie verurteilten den Ukraine-Feldzug. Trotzdem stehen Russlands Topathleten vor einer haarigen Entscheidung: Schon wer bei den Asien-Spielen startet, gibt damit öffentlich zu verstehen, dass er die „Kriegsspezialoperation“ nicht aktiv unterstützt, also kein Patriot im Sinne Putins ist. Oder wie Altbiathlet Tichonow zürnt: „Wenn sich jemand aus Russland gegen die Spezialoperation ausspricht, gegen die Verteidigung der Heimaterde, dann ist er ein Verräter. Soll er teilnehmen, aber dann aus Russland verschwinden.“ 

Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.


Lesen Sie mehr zu diesem Thema