Nähe zu Putin könnte Viktor Orbáns Sieg gefährden
Nähe zu Putin könnte Viktor Orbáns Sieg gefährden
Von Stefan Schocher
Das Freund-Feind-Spiel ist eines, das der ungarische Premierminister Viktor Orbán wie aus dem Effeff beherrscht. Und das hatte bisher vor allem eine Schlagseite: Brüssel pfui, Putin hui. Als es bereits nach Krieg roch, war Orbán zu Gast bei Wladimir Putin – in einer Friedensmission freilich. Einer aber, bei der es vor allem auch um Gaslieferungen ging.
Am Sonntag finden in Ungarn nun Parlamentswahlen statt. Und so wie Russlands Einmarsch in die Ukraine die europäische politische Landschaft durcheinandergewirbelt hat, so verhält es sich auch mit Orbáns Freund-Feind-Spiel. So klar ist nichts mehr. Alles steht kopf.
Zwei Säulen
Sicher ist nur, woran Orbán Erfolg misst. 2010 holte seine konservative Fidesz-Partei 52,7 Prozent, 2014 waren es 44,8 und 2018 dann doch wieder satte 49,2. Das einzig Entscheidende aber für Orbán: Im Parlament hält seine Fidesz die absolute Mehrheit.
Berechenbarkeit ist die andere Säule der Orbán’schen Politik. Berechenbarkeit aber ist zum Problem geworden in einem außenpolitischen Umfeld voller Fallstricke. Denn Orbáns Flirts mit Moskau gehen weit über reine Rhetorik hinaus. Über Jahre war die Fidesz-Propaganda ein Spiegel Russlands. Alles wurde getan, um die Ungarn darauf zu konditionieren, dass der Westen nichts anderes sei als ein dekadenter, verkommener Haufen, dem nur mit konservativen Werten begegnet werden könne. Über Jahre hatte es den Anschein, Orbán suche nur finanziell die Nähe zu Brüssel, während er politisch eher im Gleichschritt mit Moskau marschierte.
Orbáns Wenden
In der jetzigen Situation wird das zum Problem. Orbán ortete in dem Krieg nun einen inner-slawischen Disput und erteilte der Lieferung von Waffen über ungarisches Gebiet eine Absage, während sein Fidesz-Parteifreund Zsolt Németh, der als Atlantiker gilt, Russland immerhin scharf kritisiert.
„Es ist schwierig, jetzt zu erklären, warum Ungarn plötzlich für alle Sanktionen mit stimmt und, dass Russland zum Aggressor wurde“, sagt Kornelia Kiss, freie Journalistin unter anderem für die regierungskritische Zeitung „Magyar Hang“. Es ist aber nicht Orbáns erste politische Wende, wie sie sagt: „Denn letztendlich war Orbán ja der große Antikommunist und Russland-Gegner, als er an die Macht kam.“ Es ist genau diese Ecke, in die die Opposition Orbán bis zuletzt zu drängen versuchte. Er müsse sich entscheiden, wo er eigentlich stehe.
Die Opposition tritt bei diesen Wahlen erstmals als Bündnis an. Ein Bündnis aber ist es, wie es in sich widersprüchlicher kaum sein könnte: bestehend aus Grünen, Sozialdemokraten, der rechtsextremen Jobbik, Liberalen, Konservativen. Geeinigt hat man sich im Zuge von Vorwahlen auf den Spitzenkandidaten Péter Marki-Zay, Bürgermeister von Hodmezövasarhely im Süden des Landes.
Soziale Wohltaten
Aber zwölf Jahre Orbán haben tiefe Furchen hinterlassen in der politischen Landschaft Ungarns. Der 58-Jährige hat sich das Wahlrecht zurechtgezimmert, er hat die Massenmedien auf Linie gebracht und zugleich die Geldquellen für freie Medien ausgetrocknet, er bespielt den Staat, wie er es braucht. Und so bekamen die Oppositionsparteien im Staatsfernsehen ganze fünf Minuten zur Präsentation ihres Programms – während kritische Publikationen offenen Druck bei der journalistischen Arbeit wie im Vertrieb bekommen. Und nicht zuletzt ist da auch der massive Einsatz administrativer Ressourcen im politischen Wettbewerb. Eine 13. Monatspension gab es daher. Ebenso eine Einkommensteuerbefreiung für unter 25-Jährige sowie eine Einkommenssteuerrefundierung für das Jahr 2021 für Familien mit Kindern. Hinzu kommen Preisbindungen für Benzin und Grundnahrungsmittel.
Wer auch immer jetzt gewinnt, wird wahrscheinlich langfristig verlieren.
Kornelia Kiss, Journalistin
Nur, so sagt Kornelia Kiss auch, „dass sich die ganzen Kampagnen, die alle Parteien geplant haben, mit Russlands Einmarsch in die Ukraine in Luft aufgelöst haben“. Denn da sei nur mehr ein Leitthema: der Krieg. Der habe der Wahl zwischen Fidesz und Nicht-Fidesz mit einem Schlag eine „neue Dimension“ verschafft: Er hat die Wahl zu einer zwischen Ost und West gemacht. Die große Frage sei jetzt nur, inwieweit die Fidesz-Wählerschaft den Kursschwenk Orbáns aufnehme.
Die Frage ist aber auch, wie der Wahlgang an sich ablaufen wird. Über das neue „Wohnsitzgesetz“ könnte eine vielfache Abgabe von Stimmen möglich werden. Kritiker schlagen bereits Alarm. Die OSZE beobachtet die Wahl. Von einem fairen Wettbewerb nach demokratischen Standards konnte aber schon vor dem Urnengang keine Rede sein.
Unter anderen Umständen, bei einer wie bisher zerstrittenen Opposition wäre ein Sieg Orbáns so gut wie sicher. Diesmal ist er eher nur sehr wahrscheinlich. Wie Kiss aber auch sagt: „Wer auch immer jetzt gewinnt, wird wahrscheinlich langfristig verlieren.“ Denn: Preisbindungen, Steuerbefreiungen, Pensionserhöhungen, all das könne aus rein wirtschaftlicher Sicht schon sehr bald infrage stehen.
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