Merkel hält Brexit-Verschiebung bis 2020 für möglich
Merkel hält Brexit-Verschiebung bis 2020 für möglich
(dpa) - Die EU will Diplomaten zufolge Großbritannien einen weiteren Brexit-Aufschub gewähren. Kurz vor dem Sondergipfel am Mittwoch werde nur noch über die Bedingungen für eine Fristverlängerung und die zeitliche Dauer diskutiert, hieß es nach einem Ministertreffen in Luxemburg zur Vorbereitung des Treffens.
Ein Teil der Mitgliedstaaten ist demnach dafür, die Austrittsfrist – wie von der Regierung in London gewünscht – bis zum 30. Juni zu verlängern. Ein anderer Teil bevorzugt einen längeren Aufschub, um das Risiko erneuter Diskussionen im Sommer auszuschließen. Der Trend soll den Angaben zufolge in Richtung einer längeren Frist gehen. Einige Medien – darunter der „Guardian“ – spekulierten, dass die EU-Staaten eine Deadline bis Ende dieses Jahres anbieten könnten.
Der Gipfelbeschluss muss auf einstimmig fallen. Sagt auch nur einer aus der inzwischen reichlich genervten 27er-Runde Nein, ist ein Chaos-Brexit am Freitag um Mitternacht mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche kaum noch zu verhindern – es sei denn, der Brexit-Deal, den May mit der EU ausgehandelt hatte, wird in London vor Fristablauf kurzfristig doch noch abgesegnet. Doch dass das heillos zerstrittene britische Parlament das in letzter Minute noch schaffen könnte, glaubt kaum mehr jemand. Schließlich hat das Unterhaus schon dreimal „No“ gesagt.
Immerhin: Am Dienstag gab das Parlament grünes Licht für eine erneute Verlängerung der Brexit-Frist bis zum 30. Juni. Der Antrag der Regierung bekam eine große Mehrheit von 420 zu 110 Stimmen. Dass die Parlamentarier überhaupt darüber abstimmen konnten, hatten sie sich erst in der Nacht zum Dienstag per Gesetz gesichert.
Hätte das Parlament den Antrag abgelehnt, hätte die britische Regierung wohl einen neuen stellen müssen – aber trotzdem die Möglichkeit gehabt, mit den 27 anderen EU-Staaten zu verhandeln, wie ein Parlamentssprecher erklärte.
An diesem Mittwoch beraten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten auf einem Sondergipfel in Brüssel über Mays Wunsch nach einem zweiten Brexit-Aufschub. Eigentlich hätten die Briten die Europäische Union schon am 29. März verlassen sollen, nun ist dieser Freitag das offizielle Ausstiegsdatum. Die EU-Staaten könnten aber einen längeren Zeitraum vorschlagen und das an Bedingungen knüpfen.
Brexit erst 2020?
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hält eine Verschiebung des britischen EU-Austritts bis Ende 2019 oder Anfang 2020 für möglich. Beim EU-Sondergipfel am Mittwoch werde es um eine „Flextension“-Erweiterung des Austrittstermins gehen, sagte die Kanzlerin am Dienstag nach Informationen der dpa von Teilnehmern in einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. Zuvor hatte sie eineinhalb Stunden lang mit der britischen Premierministerin Theresa May im Kanzleramt über die Lage beraten.
Merkel merkte an, welches Ergebnis der Sondergipfel in Brüssel bringe, sei noch nicht absehbar. Sie sehe aber die Chance, dass der Brexit-Termin verlängert werde. Eine solche Lösung werde dann flexibel gestaltet. Bei einer Einigung auf eine Verschiebung werde ein vorheriger Austritt Großbritanniens jederzeit möglich sein, wenn Großbritannien dies so entscheide. Komme es zu einem Austritt vor dem 22. Mai, werde das Land tags darauf nicht an der Europawahl teilnehmen - treten die Briten erst später aus, müssen sie mitwählen. Nach Angaben mehrerer Teilnehmer sagte die Kanzlerin, womöglich werde man erst kurz vor der Europawahl wissen, ob Großbritannien daran teilnehme oder nicht.
Die EU sei derzeit „in einer historischen Situation“, sagte Merkel nach diesen Informationen weiter. Zugleich betonte sie die strategische Bedeutung Großbritanniens. Ein geordneter Brexit sei im Eigeninteresse Deutschlands. Sie gehe davon aus, dass das britische Unterhaus die Entscheidung des EU-Gipfels vom Mittwoch akzeptieren werde. Abgeordnete gewannen den Eindruck, dass Merkel den Briten Brücken bauen wolle. Sie wolle offenbar vermeiden, dass die Briten durch immensen Druck in ein ungeordnetes Manöver stürzten.
Später ging Premierministerin Mays diplomatische Reise weiter zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach Paris. Macron sieht eine weitere Verschiebung des Austritts mit großer Skepsis.
Frankreich will einem weiteren Aufschub des Brexits nur unter strikten Bedingungen zustimmen. Die ins Spiel gebrachte Verschiebung um ein Jahr erscheine zu lang, hieß es am Dienstag in Pariser Élyséekreisen.
Paris pocht bei einer Verschiebung darauf, dass das gute Funktionieren der EU nicht gestört wird. Falls ein Aufschub des EU-Austritts über den Termin der Europawahl im Mai hinaus gewährt werde, könne London nicht vollständig an „Zukunftsentscheidungen“ für die Union mitwirken, wie beispielsweise über die Präsidentschaft der Brüsseler EU-Kommission.
Auch müsse May einen klaren Plan präsentieren, wie es von britischer Seite aus weitergehen solle. Die Europäische Union könne nicht dauerhaft „Geisel“ einer politischen Krisenlösung in London sein, hatte er kürzlich erklärt.
Macron fuhr beim Brexit bisher eine vergleichsweise harte Linie. Er hatte in der vergangenen Woche gesagt, eine erneute Verlängerung der Brexit-Frist sei weder selbstverständlich noch automatisch.
May will einen weiteren Aufschub bis zum 30. Juni. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat dagegen eine flexible Verlängerung um bis zu zwölf Monate vorgeschlagen. Der Vorschlag ist auch als „Flextension“ oder „Flexi-Brexit“ bekannt. Die Entscheidung soll am Mittwochabend oder in der Nacht zum Donnerstag bei einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs fallen.
Für Verwunderung sorgte ein Vorschlag der britischen Regierungsvertreterin Andrea Leadsom: Die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin schlug am Dienstag plötzlich Änderungen am längst festgezurrten Brexit-Abkommen vor. Dabei hatte Brüssel gebetsmühlenartig betont, dass das zwischen der EU und May vereinbarte Austrittsabkommen auf keinen Fall wieder aufgeschnürt wird. Spielraum gebe es nur bei der politischen Erklärung zum Brexit.
