Massiver Drohnenangriff auf Saudi-Arabien
Massiver Drohnenangriff auf Saudi-Arabien
Von LW-Korrespondent Michael Wrase (Riad)
Die Muezzine in Abkaik hatten gerade zum Morgengebet aufgerufen, als der Raffinerie-Komplex der saudischen Ölmetropole von mindestens acht gewaltigen Explosionen erschüttert wird. In Abständen weniger Sekunden steigen massive Feuerbälle in den Himmel. Bald darauf ist die Ostküste des Wüstenkönigreiches in dichte Rauchschwaden gehüllt, die sich bis zu 150 Kilometer weit ausbreiteten. Voller Entsetzen kommentieren Passanten das auf ihren Smartphones aufgezeichnete Inferno und bitten flüsternd den Allmächtigen um Gnade.
Die Anlagen von Abkaik sind das Herz der saudischen Ölindustrie. In der riesigen Ölverarbeitungsanlage wird dem Erdöl der Schwefelwasserstoff entzogen und der Dampfdruck reduziert, was dann den sicheren Transport des Rohöls in Tankern erlaubt. Fast zehn Millionen Fass werden in der weltweit größten Anlage für diesen komplizierten Prozess jeden Tag verarbeitet. Das wussten auch die jemenitischen Huthi-Rebellen, die fünf Stunden später die Angriffe auf Abkaik sowie die Ölfelder von Churais als „legitime Antwort“ auf den viereinhalbjährigen Bombenkrieg der von Riad angeführten „arabischen Koalition“ im Jemen rechtfertigen.
Androhung von weiteren Angriffen
„Wir versprechen dem saudischen Regime, dass unsere nächste Operation noch schmerzhafter sein wird“, drohte Jahia Saria, der Sprecher der Huthis, mit schneidender Stimme. Mit zehn Drohnen, behauptete der schiitische Milizoffizier, habe man den Osten von Saudi-Arabien attackiert. Für arabische Experten waren die Angriffe keine Überraschung.
Erst im Juli, erinnert der Fernsehsender Al Dschasira, hätten die Huthi-Rebellen auf einer Waffenschau bei Sana neue ballistische Raketen sowie nach iranischen Anleitungen zusammengebaute Langstreckendrohnen vorgestellt. Diese würden zu einem „Unterschied im Machtgleichgewicht führen“, hatte der Huthi-Kommandeur Machdi al-Maschat bei der Präsentation der „effektiven Abschreckungswaffen“ geprahlt.
Auch die Vereinten Nationen warnten schon mehrfach vor Huthi-Drohnen, die eine Reichweite von 1 500 Kilometern und eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Kilometern pro Stunde haben. Trotzdem verkündete der amerikanische Außenminister am Samstag, dass es „keine Beweise“ dafür gäbe, dass die Drohnen vom Jemen gekommen seien. Vielmehr sei „Iran zu 100 Prozent für die Terrorattacken“ verantwortlich, erklärte Mike Pompeo ohne die Vorlage von Beweisen.
USA zeigen auf den Iran
„Inmitten der Rufe nach Deeskalation“, twitterte der Amerikaner aufgebracht, habe Teheran einen Angriff auf die Weltenergieversorgung verübt. Tatsächlich sind die Folgen der Attacken auf Abkaik verheerend. „Die Terrorangriffe“, meldete das saudische Staatsfernsehen, hätten die Ölproduktion auf die Hälfte des üblichen Volumens einbrechen lassen.
Auf 5.7 Millionen Barrel am Tag bezifferte Saudi Aramco, die staatliche saudische Ölgesellschaft, die durch die Angriffe entstanden Mengenverluste. Damit würden der weltweiten Ölförderung jeden Tag rund fünf Prozent verloren gehen, errechnete die New York Times. Wie lange der laut Saudi Aramco „vorübergehende Effekt“ andauern wird, ist gegenwärtig nur schwer abschätzbar. Experten rechnen mit langwierigen Reparaturarbeiten. Für Saudi Aramco kommen die mutmaßlichen Drohnenangriffe auch deshalb zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, weil sich der Grosskonzern unter neuem Management auf den größten Börsengang aller Zeiten vorbereitet.
Versagten die US-amerikanischen Abwehrraketen?
In den Chefetagen von Saudi Aramco dürfte zudem die Frage gestellt werden, warum man die größte Ölverarbeitungsanlage der Welt nicht besser schützen konnte. Damit kommen auch die Amerikaner ins Spiel. Sie haben Saudi-Arabien mit „Patriot“ ein multifunktionales Luftabwehrsystem geliefert, welches gegen die verhältnismäßig primitiven Angriffswaffen einer jemenitischen Miliz offenbar versagte oder von den Saudis nicht richtig bedient werden konnte.
Auch vor diesem Hintergrund versicherte US-Präsident Donald nach den Angriffen auf Abkaik dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in einem Telefongespräch, das Königreich bei der Selbstverteidigung zu unterstützen. Was dies in der Praxis bedeutet, ist unklar. Ein saudischer Vergeltungsangriff gegen Iran, laut Außenminister Pompeo der Hauptschuldige für den Angriff, steht jedenfalls nicht auf der Tagesordnung.
Iranische Medien berichten mit Schadenfreude
Dafür ist der Schock der Drohnenangriffe in Saudi-Arabien viel zu gewaltig. Zum ersten Mal hätten die Huthis dem angeblich so übermächtigen Saudi-Arabien demonstriert, wie verwundbar es sei, kommentierte Al Dschasira die Drohnengriffe vom Samstag. Diese seien jedoch nur „ein kleiner Vorgeschmack“ auf mögliche Reaktionen der Iraner im Falle eines Krieges am Persischen Golf.
Iranische Medien berichteten über die Drohnenangriffe mit unverhohlener Schadenfreude. Die Islamische Republik sei nach den Lieferengpässen der Saudis bereit, die entstandenen Ausfälle sofort zu kompensieren, zitierte das staatliche „Press TV“ Teheraner Regierungsbeamte. Die Anschuldigungen der USA wiesen sie als „blind, unverständlich und bedeutungslos“ zurück.
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