Aus Junckers Sicht zerstört Putin das Erbe von Gorbatschow
Aus Junckers Sicht zerstört Putin das Erbe von Gorbatschow
Der Tod des ehemaligen Staats- und Parteichefs der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, hat auch in Luxemburg Betroffenheit ausgelöst. Politiker würdigten den am Dienstag verstorbenen Friedensnobelpreisträger von 1990. „Er war ein Politiker, der mit Überzeugung die Trennung zwischen Ost und West zum Fallen brachte“, sagte Außenminister Jean Asselborn dem „Luxemburger Wort“. Gorbatschow, den er einmal in Moskau getroffen habe, sei „ein großer russischer Staatsmann“ gewesen, „mit dem der Welt dieser barbarische Krieg in der Ukraine erspart geblieben wäre“.
Auch der frühere Premierminister Jean-Claude Juncker ist Gorbatschow einmal begegnet: 2004 empfing er ihn zu einem Besuch im Staatsministerium. „Er gehört zu den großen Veränderern der europäischen Geschichte“, sagte Juncker ebenfalls auf Anfrage des „Luxemburger Wort“. Damals habe er sich mit Gorbatschow über Lage in den späten Jahren der Sowjetunion ausgetauscht. „Er hat damals ein Plus an individueller und kollektiver Freiheit durchgesetzt und stand damit am Anfang des Umschwungs der 90er-Jahre.“
Anfängliches Zögern
Als sich um 1990 immer mehr Länder im Einflussbereich der damaligen Sowjetunion von Moskau loszusagen versuchten, habe er dies „nach anfänglichem Zögern“ erlaubt. „Die Slowenen, die Esten, die Letten und andere verdanken ihm eigentlich den Platz an der Sonne, den sie damals erobert haben, weil sie frei wurden“, so Juncker.
Er betonte: „Gorbatschow war ein Mann des Friedens, er war von keinerlei Feindseligkeit gegenüber anderen Ländern beseelt.“ Dies unterscheide ihn vom jetzigen russischen Staatschef Wladimir Putin: „Wenn man sich heute anschaut, was in Russland alles passiert, muss man sagen, dass sich Putin nicht auf der Höhe des Erbes von Gorbatschow befindet, weil er doch viele Reformprozesse zurückgedrängt hat und eine aggressive Außenpolitik betreibt.“
Von historischer Bedeutung sei, dass der spätere Friedensnobelpreisträger den Fall der Berliner Mauer zugelassen habe, ohne militärisch zu intervenieren. „Ohne Gorbatschow und seine Rolle wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht möglich gewesen“, betonte Juncker. Der NATO habe er jedoch immer negativ gegenübergestanden; entsprechend sei er im Westen nach wie vor beliebt, in Russland aber verhasst, „weil viele ihm vorgeworfen haben, dass er die Sowjetunion verraten hätte“.
Bis zuletzt hatte Gorbatschow die immer stärkere Ausdehnung der NATO in Richtung der russischen Grenze angeprangert; bei den Verhandlungen um die Deutsche Einheit habe es 1990 anderslautende Absprachen mit den USA gegeben, betonte Gorbatschow mehrfach. Doch diese Kritik lässt Juncker nicht gelten: „Es gibt keine schriftliche Vereinbarung zwischen NATO-Staaten und Gorbatschow in dem Sinne, dass der Westen auf eine Ausdehnung der NATO verzichten würde, das ist eine Legende.“ Es habe lediglich eine Zusage gegeben, dass keine permanente Truppenpräsenz der NATO auf dem Gebiet früherer Warschauer Pakt-Staaten vorgesehen ist. Bis zuletzt gebe es ausschließlich eine rotierende Militärpräsenz.
Hoffnungen geweckt
Junckers Nachfolger Xavier Bettel drückte in einem Tweet die Trauer um Gorbatschow aus. „Seine Bemühungen trugen zum Fall der Berliner Mauer und zum Ende des Kalten Krieges bei und weckten die Hoffnung einer ganzen Generation“, so der amtierende Regierungschef. „Er wird als engagierter Multilateralist und Verfechter von Frieden, Offenheit und Transparenz in Erinnerung bleiben.“
Selten habe es einen Staatsmann gegeben, der so stark in die Geschichte eingegangen ist, sagte auch der frühere Premierminister Jacques Santer. „Er war der, der den Kalten Krieg beendet hat“, so der Regierungschef von 1984 bis 1995 am Mittwoch im RTL-Interview. Auch Santer hob hervor: „Ohne Gorbatschow wäre Deutschland nie wiedervereinigt worden.“ Die Fotos von damals seien ihm heute noch stark präsent, sagte Santer, der 1990 eine Delegation nach Moskau anführte.
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