Libanon: Ministerpräsident schlägt Neuwahlen vor
Libanon: Ministerpräsident schlägt Neuwahlen vor
(dpa) - Als Reaktion auf die verheerende Explosion im Hafen von Beirut will der libanesische Regierungschef Hassan Diab seinem Kabinett vorgezogenen Neuwahlen vorschlagen. Ein entsprechendes Gesetz wolle er in einer Sitzung am Montag vorlegen, sagte Diab am Samstag in einer Fernsehansprache. Damit reagierte er auf den massiven Druck auf die Regierung, die von vielen Libanesen für die Detonation verantwortlich gemacht wird. Einen möglichen Termin nannte er nicht.
Im Zentrum Beiruts wurden bei heftigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften mehr als 170 Menschen verletzt. 55 von ihnen seien in umliegende Krankenhäuser gebracht, 117 vor Ort behandelt worden, teilte das libanesische Rote Kreuz am Samstag über Twitter mit.
Einige Demonstranten versuchten Absperrungen zum Parlament zu durchbrechen. Sie warfen Steine, wie auf Bildern des libanesischen Senders MTV zu sehen war. Die Sicherheitskräfte wiederum setzen massiv Tränengas ein, um die Demonstranten zu vertreiben. Auf TV-Bildern waren Feuer im Zentrum Beiruts zu sehen. Demonstranten drangen auch in das Außenministerium und das Wirtschaftsministerium ein, wie libanesische Medien meldeten.
Vier Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt demonstrierten aber auch Tausende Libanesen friedlich gegen die Regierung. Die Menschen versammelten sich zu einer Trauer- und Protestkundgebung auf dem Märtyrer-Platz im Zentrum Beiruts.
158 Tote
Viele Libanesen machen die politische Führung des kleinen Landes am Mittelmeer für die schwere Explosion verantwortlich. Die Zahl der Toten stieg auf 158, wie das Gesundheitsministerium am Samstag mitteilte. Die Zahl der Verletzten kletterte demnach auf rund 6.000.
Das Motto der Protestkundgebung lautete „Gerechtigkeit für die Opfer, Rache an der Regierung“. Die Demonstranten riefen unter anderem „Revolution, Revolution“ und „Das Volk will den Sturz des Regimes“. „Der Aufstand und die Revolution gehen weiter“, sagte einer der Demonstranten dem Sender MTV. Präsident Michael Aoun, Regierungschef Hassan Diab und die gesamte politische Führungsspitze seien für die Detonation verantwortlich.
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Bereits im vergangenen Oktober hatten Massenproteste gegen die Regierung begonnen. Die Demonstranten fordern weitgehende politische Reformen. Sie werfen der politischen Elite Korruption vor und beschuldigen sie, das Land rücksichtslos auszuplündern.
Die Wut ist auch deswegen so groß, weil offenbar über Jahre große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen lagerten. Dies soll die gewaltige Explosion verursacht haben. Warnungen wurden Berichten zufolge in den Wind geschlagen. Am Freitagabend ordnete ein Richter die Festnahme von drei leitenden Hafen-Mitarbeitern an, darunter den Direktor und den Chef des Zolls.
Viel Solidarität
Bei den Aufräumarbeiten nach der Explosionskatastrophe fühlen sich viele Libanesen von der Regierung im Stich gelassen. Gleichzeitig zeigen sie untereinander große Solidarität. In den stark zerstörten Vierteln rund um den Hafen waren auch am Samstag Dutzende freiwillige Helfer im Einsatz.
Im Hafen gingen die Bergungsarbeiten weiter. Rettungshelfer bargen 25 Leichen aus den Trümmern. Einem Sprecher des Gesundheitsministeriums zufolge werden noch immer rund 45 Menschen vermisst, überwiegend Hafenarbeiter.
Die internationale Gemeinschaft will den Libanon unterstützen. EU-Ratspräsident Charles Michel traf zu Gesprächen mit Staatschef Aoun und anderen Spitzenpolitikern ein, wie der libanesische Präsidentenpalast mitteilte. Der Libanon könne sich auf die Solidarität der EU verlassen, twitterte Michel. „Nicht nur in Worten, sondern auch in konkreten Handlungen für das libanesische Volk.“
Am Sonntag soll die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigte internationale Konferenz zur Hilfe für den krisenerschütterten Libanon stattfinden - per Videoschalte. Bei seinem Besuch am Donnerstag in Beirut hatte Macron jedoch deutlich gemacht, dass er von der Regierung grundlegende Reformen fordert.
