Kommissare auf dem Grill
Kommissare auf dem Grill
(dpa) - Europaabgeordnete sind mächtig, und sie lassen es gerne andere spüren. Von diesem Montag an werden die Parlamentarier 27 neue EU-Kommissare auf Herz und Nieren prüfen. Schon vor den Anhörungen sind die designierten Top-Frauen und -Männer der Kommission von Präsident Jean-Claude Juncker in Brüssel unterwegs. Sie testen die Stimmung und knüpfen abseits von Kameras und Mikrofonen Kontakte.
Wer wann auf den Grill kommt, lesen Sie hier.
Im riesigen Parlamentsgebäude sind an jeder Ecke Spekulationen und Gerüchte zu hören. Es geht vor allem darum, welcher Anwärter bei dem eineinhalbwöchigen Interview-Marathon potenziell zu Fall gebracht werden könnte. Die Volksvertretung wählte zwar bereits Juncker, muss aber noch seiner gesamten Equipe zustimmen. Es gibt also noch einmal die Gelegenheit, Muskeln richtig spielen zu lassen.
Sechs Namen fallen immer wieder. Da ist der konservative Spanier Miguel Arias Cañete. Dem künftigen Klima- und Energiekommissar werden Erdölaktien und angeblicher Sexismus vorgehalten. Als Wackelkandidatin gilt die sozialliberale Slowenin Alenka Bratusek. Sie soll sich als frühere Regierungschefin in Ljubljana selbst für den Spitzenjob nominiert haben. Kann das sein, war das undemokratisch? „Da wird es hoch hergehen“, meint ein Parlamentarier mit Blick auf das Hearing.
Dass ausgerechnet der Brite Jonathan Hill die Bereiche Finanzstabilität und Finanzdienstleistungen verantworten soll, verstehen viele Parlamentarier nicht. Eins ist bereits klar: Der Konservative mit Adelstitel wird nicht für die umstrittenen Banker-Boni verantwortlich sein.
Vor allem Konservative sind wenig glücklich mit dem französischen Sozialisten Pierre Moscovici, der Wirtschaft und Finanzen übernehmen soll. Der Pariser Ex-Minister und Vertraute von Staatspräsident François Hollande gilt aber nicht als richtig gefährdet. In das Visier von Kritikern gerieten auch der designierte Kulturkommissar Tibor Navracsics aus Ungarn und der als Umweltkommissar vorgesehene Malteser Karmenu Vella.
Im Gespräch mit dem LW erklärt der künftige Kommissionspräsident: "Ich habe allen designierten Kommissaren im voraus nahegelegt, dafür Sorge zu tragen, dass kein Grund mehr bestehen kann, mögliche Interessenkonflikte zu vermuten. Wenn es Kapitalanteile gebe, müsse man sich davon trennen. Auch darf man keinen Anlass zum Zweifeln an den eigenen europapolitischem Grundüberzeugungen geben. Ich glaube gerne, dass das für einen ehemaligen ungarischen Minister nicht so einfach werden könnte."
Knallharte Parlamentarier
Das Parlament zeigte sich schon gegenüber Junckers Amtsvorgänger José Manuel Barroso knallhart. 2004 verhinderten Parlamentarier die Ernennung des Italieners Rocco Buttiglione und der Lettin Ingrida Udre. Und 2009 scheiterte die Bulgarin Rumjana Schelewa nach Kritik an ihrem privaten Finanzgebaren.
Die Zeiten haben sich allerdings geändert, da sich der Christsoziale Juncker bei den Europawahlen im Mai als Spitzenkandidat durchsetzte. Der Luxemburger kommt also nicht aus dem Hinterzimmer der EU-Staats- und Regierungschefs. Es ist sozusagen ein Mann des Parlaments und hat die Rückendeckung von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen in der Volksvertretung.
Große Koalition
Nimmt - die offiziell so nicht genannte - große Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten den Anhörungen die Schärfe? Das vermuten zumindest die Grünen: „Keine der beiden hat eigentlich die Absicht, einen Kandidaten der anderen aus dem Spiel zu kicken, denn die Revanche würde ja auf dem Fuße folgen“, resümiert Co-Fraktionschef Philippe Lamberts, ein Belgier.
Für den 22. Oktober ist die Abstimmung über die neue Juncker-Kommission geplant, die dann planmäßig am 1. November ihre Arbeit aufnehmen soll. Ist dieser ehrgeizige Zeitplan zu halten? Auch dazu gibt es unterschiedliche Stimmen. Manche richten sich schon darauf ein, dass Juncker erst zum 1. Dezember oder zum 1. Januar 2015 starten kann.
Mit den Anhörungen geht der seit Monaten dauernde Postenpoker in der EU in die Endrunde. Neben Juncker ist der neue EU-Ratspräsident Donald Tusk aus Polen bereits von den Staats- und Regierungschefs bestätigt. Die „Chefs“ nominierten zudem die Italienerin Federica Mogherini als Nachfolgerin für die wenig beliebte Außenbeauftragte Catherine Ashton. Die Sozialdemokratin aus Rom muss sich aber auch noch dem Parlament stellen, da sie in der Juncker-Kommission einer der Vizepräsidentinnen sein wird.
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