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"Kein Vergeben" für Butscha
International 5 Min. 02.04.2023
Vor einem Jahr wurden die Massaker entdeckt

"Kein Vergeben" für Butscha

Im gesamten Kiewer Gebiet sind bis Anfang März dieses Jahres laut Polizeichef Andrij Njebytow 1.444 Leichen von Zivilisten gefunden worden.
Vor einem Jahr wurden die Massaker entdeckt

"Kein Vergeben" für Butscha

Im gesamten Kiewer Gebiet sind bis Anfang März dieses Jahres laut Polizeichef Andrij Njebytow 1.444 Leichen von Zivilisten gefunden worden.
Foto: dpa
International 5 Min. 02.04.2023
Vor einem Jahr wurden die Massaker entdeckt

"Kein Vergeben" für Butscha

Wie kein anderer Ort in der Ukraine steht Butscha als Symbol für Gräueltaten in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Einige Leichen wurden mit gefesselten Händen auf dem Rücken gefunden. Ein Besuch in der befreiten Stadt.

(dpa) - Trauer und Schmerz sind in der Kleinstadt Butscha mit ihren Hochhäusern und breiten Straßen auch ein Jahr nach Abzug der russischen Truppen fast mit den Händen greifbar. An der Andreaskirche, wo viele Zivilisten in Massengräbern gefunden wurden, leitet Priester Andrij Halawin von der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine Trauerzeremonien für jene, die aktuell im Krieg fallen. In vielen Kirchen mischt sich in den Abschied von gefallenen Soldaten zusätzlich die Erinnerung an den Jahrestag des Massakers von Butscha.

Auf dem Friedhof am Rande des Orts mit seinen einst 36.000 Einwohnern liegen auch anonyme Gräber nicht identifizierter Toter. Auf vielen anderen Ruhestätten wehen die blau-gelben Flaggen der Ukraine, zu sehen sind Fotos der gefallenen Verteidiger des Landes.


Ukrainian President Volodymyr Zelensky (R) and Prime Minister of Luxembourg Xavier Bettel give a press-conference following their talks in Kyiv on June 21, 2022. (Photo by Sergei SUPINSKY / AFP)
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Wie kein anderer Ort steht Butscha, eine gute halbe Stunde von der Hauptstadt Kiew entfernt, für die Gräueltaten des Kriegs. Auf dem Weg dorthin sind die Spuren der Kämpfe der ukrainischen Truppen gegen die russische Armee unübersehbar: An Gebäuden die Zerstörungen, es gibt Einschlaglöcher, zerborstene Scheiben und zertrümmerte Straßen.

Vor einem Jahr, am 2. April, nur Tage nach dem russischen Abzug, gingen auch die Bilder von Leichen auf der Jablunska-Straße um die Welt.

Vor einem Jahr, am 2. April, nur Tage nach dem russischen Abzug, gingen auch die Bilder von Leichen auf der Jablunska-Straße um die Welt. Sie liegt weit abseits des Zentrums von Butscha in einer Siedlung mit kleinen Häusern und überschaubaren Grundstücken. Einige der Toten hatten auf dem Rücken gefesselte Hände. Ein toter Mann lag neben seinem Fahrrad. Ein Jahr später ist in der Straße kaum noch etwas zu sehen von den Szenen der Gewalt. Einschusslöcher an Zäunen und Gebäuden zeugen von Kämpfen. Die Straße ist menschenleer.

Am 4. April 2022, nur ein paar Tage nach dem Abzug der Russen, besuchte Präsident Selenskyj Butscha.
Am 4. April 2022, nur ein paar Tage nach dem Abzug der Russen, besuchte Präsident Selenskyj Butscha.
Foto: dpa

Nach unterschiedlichen Angaben sollen allein in Butscha entweder 422 oder 461 Zivilisten getötet worden sein. Generalstaatsanwalt Andrij Kostin spricht sogar von 700 Menschen, die nach dem russischen Einmarsch ums Leben gekommen seien. Kostin berichtet zudem von bereits 91 identifizierten russischen Soldaten, die an den über 9.000 registrierten Kriegsverbrechen im Kreis Butscha beteiligt gewesen sein sollen. „Folter, Mord, sexuelle Gewalt. Das ist das wahre Gesicht der ‚russischen Welt‘ und des Regimes der Russischen Föderation, das auf der völligen Missachtung der Prinzipien der Menschenrechte gegründet ist“, sagte Kostin im Februar.

200 Leichen noch nicht identifiziert

Im gesamten Kiewer Gebiet sind bis Anfang März dieses Jahres laut Polizeichef Andrij Njebytow 1.444 Leichen von Zivilisten gefunden worden. Knapp 200 Leichen konnten dabei noch nicht identifiziert werden. „Wir nehmen die DNA, verarbeiten alle Vermisstenanzeigen und wenden uns an die Verwandten und versuchen, sie zu identifizieren“, sagte Njebytow dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Schon zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar bezeichnete Präsident Wolodymyr Selenskyj Butscha als sein persönlich schlimmstes Kriegserlebnis.

Mit eindringlichen Videos erinnert die Ukraine nun - ein Jahr später - wieder an die Verbrechen. Schon zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar bezeichnete Präsident Wolodymyr Selenskyj Butscha als sein persönlich schlimmstes Kriegserlebnis. Die Führung in Kiew zeigte vor einem Jahr nach dem Abzug der russischen Truppen die Leichen. Staatsgäste aus dem Ausland besuchten den Ort, wo Einsatzkräfte die Leichen in schwarzen Säcken aus den Gräbern zogen.


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„Ereignisse, die man sich im 21. Jahrhundert nicht vorstellen konnte, wurden in den Vororten von Kiew, Butscha und Irpin, zur Realität“, sagt Selenskyj zum Jahrestag des Massakers. „Doch die Befreiung des Gebietes Kiew wurde zu einem Symbol dessen, dass die Ukraine in diesem Krieg gewinnen kann.“ Am Freitag besuchte er auch Butscha selbst mit Staatsgästen und ehrte Soldaten mit Orden.

Die ukrainische Post, die immer wieder Kiews Triumphe auf Briefmarken verewigt, präsentierte am Freitag mehrere Wertzeichen. Das Motto der Briefmarken: „Kein Vergeben! Kein Vergessen!“ Symbolisch für Butscha ist auf der Marke ein Foto mit einer zerstörten russischen Militärkolonne auf der Bahnhofsstraße der Kleinstadt abgebildet.

Mord, Folter, Vergewaltigungen

Die Bilder des Grauens sind allgegenwärtig, die Beweise aus Sicht auch von Menschenrechtlern erdrückend. Es gibt unzählige Vorwürfe gegen die Russen, darunter Mord, Folter, Vergewaltigung. Trotzdem weist Russland, das am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert war, auch zum Jahrestag zurück, Kriegsverbrechen begangen zu haben.

In einer langen Stellungnahme behauptete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, einmal mehr, es habe sich um eine Inszenierung gehandelt, um eine diplomatische Lösung des Konflikts zu verhindern. Russland habe sich damals bei Verhandlungen in der Türkei offen gezeigt und als Zeichen dafür seine Truppen aus der Region Kiew abgezogen. „Als Antwort hat die ukrainische Führung die grobe und zynische Provokation in Butscha inszeniert.“

Trotz russischer Forderungen gebe es keine offiziellen Namenslisten oder gerichtsmedizinische Gutachten zu den Zivilisten, „deren Leichen auf den Straßen gezeigt wurden“, sagte Sacharowa. Die im Internet und sozialen Netzwerken veröffentlichten Fotos bezeichnete sie als Manipulation. „Das Selenskyj-Regime hat etwas zu verbergen.“


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Klar ist, dass die Menschen in Butscha ohne den russischen Einmarsch noch leben würden. In der Andreaskirche bleibt Priester Halawin nur die Trauerarbeit und das Beten – für einen Sieg des Landes gegen die russischen Besatzer. Er steht am offenen Sarg eines gefallenen Soldaten. Dutzende sind gekommen, um sich von Ihor Djukarjew zu verabschieden, seine Mutter und die Witwe küssen den Toten.

Der 24-Jährige wurde am 20. Februar bei Kämpfen nahe Dibrowa im Gebiet Luhansk getötet. Er war zusammen mit Mutter und Schwestern als Kind 2014 vor den Kämpfen aus dem Donbass nach Butscha geflohen. Am 24. Februar 2022 meldete er sich bei Kriegsausbruch freiwillig und war der jüngste in seiner Einheit. Ein Jahr später, es ist der 25. Februar, wird er am Friedhof von Butscha von Soldaten in Uniform zu Grabe getragen. Viele von ihnen lassen ihren Tränen freien Lauf.

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