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"Juncker führt sich wie ein betrogener Ehegatte auf"
International 2 Min. 26.06.2016 Aus unserem online-Archiv
Kritik am EU-Kommissionspräsidenten

"Juncker führt sich wie ein betrogener Ehegatte auf"

Jean-Claude Juncker bei der Pressekonferenz am 24. Juni: Das Brexit-Votum könnte auch seine Position schwächen.
Kritik am EU-Kommissionspräsidenten

"Juncker führt sich wie ein betrogener Ehegatte auf"

Jean-Claude Juncker bei der Pressekonferenz am 24. Juni: Das Brexit-Votum könnte auch seine Position schwächen.
AFP
International 2 Min. 26.06.2016 Aus unserem online-Archiv
Kritik am EU-Kommissionspräsidenten

"Juncker führt sich wie ein betrogener Ehegatte auf"

Daniel CONRAD
Daniel CONRAD
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien nimmt die Kritik gegen Jean-Claude Juncker an Schärfe zu. Zeitungskommentatoren gehen hart mit dem EU-Kommissionspräsidenten ins Gericht.

(ml/dpa) - Infolge des Brexit-Votums wird ein neuer Elan in der Europa-Debatte nötig sein, um den Zerfall der Europäischen Union zu verhindern. Ob EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der richtige Mann dafür ist, scheint derzeit nicht nur in Brüssel bezweifelt zu werden.

In Berlin berät Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag mit Italiens Regierungschef Matteo Renzi, Frankreichs Präsidenten François Hollande und EU-Ratspräsidenten Donald Tusk über die weitere Vorgehensweise. Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, die Präsidenten von EU-Parlament und Kommission, stehen nicht auf der Einladungsliste.

Nach dem Brexit haben in einigen Medien die Attacken gegen Juncker zugenommen. Gleich mehrere angesehene deutsche Zeitungen fordern seinen Rücktritt.

"Juncker hat den Schuss nicht gehört"

"Junckers Verzweiflungstat: Jean-Claude Juncker hat, mit Verlaub, den Schuss nicht gehört. Es ist Zeit, dass er sich verabschiedet", meint der FAZ-Brüsseler Wirtschaftskorrespondent Werner Mussler in seinem Kommentar. Dem EU-Kommissionspräsidenten falle in Reaktion auf das britische Votum nichts anderes ein, als auf eine "Vollendung und weitere Vertiefung der Währungsunion" zu setzen.

Dabei ignoriere Juncker, dass sich ausgerechnet diese Währungsunion, als "der größte politische Spaltpilz in der EU" erwiesen habe. Mit seinem Vorschlag stoße Juncker zudem die osteuropäischen Nicht-Euro-Staaten, die andere Sorgen als die Euro-Einführung hätten, vor den Kopf.

"Europaparlament muss Juncker absetzen"

Auch "Die Welt" fordert Junckers Rücktritt. "Wenn die EU sich endlich als Demokratie inszenieren will, dann muss das Europaparlament Juncker jetzt absetzen." Und weiter: "Es ist schon ein Treppenwitz, wenn der Demokrat Cameron abtritt, aber der Funktionär Juncker, dessen müde Vogel-Strauß-Taktik in London krachend gescheitert ist, weiter an seinem Schreibtisch hocken bliebe und sogar die demütigenden Austrittsverhandlungen managen dürfte."

Anders als Angela Merkel treten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker für einen schnellen Brexit ein. Mit dieser Forderung würden sie auch Europa schaden, heißt es in einem wenig schmeichelhaften "Tagesspiegel"-Kommentar: "Juncker und Schulz führen sich wie betrogene Ehegatten auf." Wenn eine Krise eine konstruktive Zusammenarbeit erfordere, bringe eine derartige Verhaltensweise nichts. Das pauschale "Draußen ist draußen" von Juncker komme genau zum falschen Zeitpunkt."Basta und Aus" sei angesichts drohender Referenden in anderen EU-Staaten nicht sinnvoll. 

"Juncker ist nicht der richtige Mann"

Auch in der Politik hatte es am Wochenende nach dem Brexit erste indirekte Rücktrittsforderungen in Bezug auf Jean-Claude Juncker. Der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek hat  EU-Kommissionspräsidenten Juncker als Konsequenz aus dem Brexit-Votum indirekt den Rücktritt nahegelegt.

„In diesem Moment ist der Kommissionspräsident nicht der richtige Mann an dieser Stelle“, sagte der Sozialdemokrat am Sonntag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen CT. „Wir müssen den Rest Europas zusammenhalten und große Integrationsinitiativen vermeiden“, forderte der 59-Jährige.

Zaoralek hielt dem Christdemokraten Juncker vor, nicht selbst nach Großbritannien gefahren zu sein, um dort um das Vertrauen der Wähler zu werben. Zudem bemängelte er, dass sich die Debatte in der EU über die Verteilung von Flüchtlingen negativ auf den Referendumsausgang ausgewirkt habe. Den Austritt der Briten verglich Zaoralek mit der „Amputation eines Armes oder Beines“.

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