Im Inneren der großen amerikanischen Festung Europas
von Ricardo J. RODRIGUES/ 02.12.2022
Kaum mehr als 100 Kilometer ist die größte US-Stadt im Ausland von Luxemburg entfernt. Ramstein ist die Militärzentrale der Amerikaner in Europa.
Vermutlich nur wenige Menschen leben so gerne im Ramstein wie die 26-jährige Emma Quirck. „Meine Eltern waren auch beim Militär. Sie lernten sich hier kennen, als sie noch zur Schule gingen. Sie heirateten und bekamen eine Anstellung in Ramstein, und so lebte ich im Alter von 10 bis 12 Jahren in diesem Ort. Seitdem wollte ich immer zurück nach Europa“, erzählt die junge Amerikanerin, die Captain des 521st Air Mobility Operations Wing ist. „Ich bin vor einem Jahr angekommen, nur ich und mein Hund, und es ist das Beste, was ich je getan habe. Ich liebe es hier.“
Quirck ist eine von 54.000 US-Bürgern, die im Umkreis von Kaiserslautern leben, das von allen in der Region K-Town genannt wird. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Militärangehörige. Der Rest sind Ehefrauen und Kinder, Zivilisten und Mitarbeiter von US-Unternehmen. Im Mittelpunkt stehen aber natürlich die Truppen. Im Umkreis von 20 Kilometern befinden sich die Army-Garnison in Kaiserslautern, das Militärkrankenhaus in Landstuhl und eben die Air Base Ramstein, die größte US-Militärstruktur außerhalb der USA.
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Die Einheit von Captain Quirck ist für die großen Frachtflugzeuge zuständig, die in Ramstein stationiert sind, die Lockheed C-5 Galaxy und die Boeing C-17 Globemaster. Die Frachtriesen nutzen die Air Base als Ausgangspunkt für militärische Transporte aller Art. Aber das 521st Air Mobility Operations Wing ist nur ein Außenseiter-Geschwader, Hausherr in Ramstein ist das 86th Airlift Wing.
„Wir sind das Hauptquartier der US-Luftwaffe für alle Angelegenheiten, die sich in Europa, Afrika und dem Nahen Osten abspielen“, erklärt der für Öffentlichkeitsarbeit verantwortliche Colonel Robert Firman. „An Arbeit hat es uns in den letzten Jahren nicht gemangelt“, scherzt er. „Wir mussten einsehen, dass wir China lange zu unserer Priorität gemacht haben, und dann kam die Realität und zeigte uns, dass wir nicht aufhören können, auf Europa zu schauen. Schauen Sie sich an, was jetzt gerade mit der russischen Invasion in der Ukraine passiert“.
Firman betont aber, dass „jede Aktion der Vereinigten Staaten“ im Rahmen der Nato stattfindet. „Wir operieren auf der Grundlage dieser Befehle“, so Colonel Firman. Das Luftkommando der Nato hat seinen Sitz ebenfalls in Ramstein. „Die Nato ist nicht direkt in den Konflikt verwickelt, sondern unterstützt die ukrainische Seite mit Waffen, Logistik und Informationsaustausch“, erklärt Firman.
Die Air Base Ramstein kann auf eine 70-jährige Geschichte zurückblicken. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet und war beteiligt an einigen der größten Konflikte. Auf diesen zwölf Quadratkilometern werden globale Konflikte gesteuert und manchmal sogar entschieden.
Die Familie von Colonel Firman hat mütterlicherseits luxemburgische Wurzeln. „Sie waren extrem arme Farmer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Minnesota auswanderten. Sie hießen Schmidt“, erzählt er. Bei seinen verschiedenen Aufträgen in Ramstein hatte er zudem die Gelegenheit, die Ursprünge zu erforschen und einige Cousins zu treffen, die seit jeher in der Hauptstadt des Großherzogtums leben. „Jeder hier besucht irgendwann einmal Luxemburg. Es ist nur anderthalb Stunden mit dem Auto entfernt und ein wirklich schöner Ort. Aber es gibt noch eine andere wichtige Sache, die uns dorthin zieht. Besonders letztes Jahr war das Nato-Depot in Sassenheim in einigen Momenten entscheidend“, sagt der hochrangige Offizier der Air Force.
Mit dem Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan im Jahr 2021 mussten Tausende von Flüchtlingen aus Kabul evakuiert werden, fast immer war Ramstein der Zwischenstopp. „Plötzlich und innerhalb kürzester Zeit mussten wir 34.000 Menschen evakuieren. Über Nacht mussten wir eine Stadt errichten, um all diese Menschen in unserer Basis aufzunehmen“, erinnert sich Firman. Luxemburg leistete tatkräftige Hilfe. 520 riesige Zelte kamen aus Sassenheim, und in jedes von ihnen passten 26 Personen. Kochherde und Heizungsanlagen kamen hinzu, und der Aufbau der Flüchtlings-Stadt Ramstein ging in Rekordzeit vonstatten.
Auf den Fluren des US-Militärkrankenhauses in Landstuhl ist es in diesen Tagen ruhig. Es handelt sich um ein riesiges Gebäude aus dem Jahr 1953, in dem zweitausend Mitarbeiter, darunter Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, arbeiten. Hier werden amerikanische Soldaten, die in Europa, Afrika oder im Nahen Osten im Kampf verwundet wurden, behandelt. Und auch diejenigen, die krank werden oder einen Unfall erleiden.
„Seit letztem Frühjahr sind wir auch ein regionales Traumazentrum für den deutschen Krankenhausverbund“, sagt Brad Rittenhouse, der Trauma-Direktor des Krankenhauses. „Das ist wichtig und trägt zur Integration in unserem Gastland bei.“ Wenn sich in diesem Teil des Landes zum Beispiel ein Autounfall ereignet, werden die Opfer hierher gebracht. „Bei der Evakuierung afghanischer Flüchtlinge im Jahr 2021 hatten wir alle Hände voll zu tun, denn es kamen viele Verletzte an“, erinnert sich Rittenhouse. „Und ein großer Teil der Fälle waren Kinder“.
Mehr als 40 medizinische Fachrichtungen werden hier behandelt. Von der Kardiologie bis zur Psychologie, von der Neurologie bis zur rekonstruktiven Chirurgie. Und das Ziel, so die Militärs, ist es, weiterzuwachsen. Die Bauarbeiten für ein neues Krankenhaus haben begonnen und werden voraussichtlich 2027 abgeschlossen sein. Es ist das flächenmäßig größte Gebäude, das in Deutschland für die nächsten Jahre geplant ist. Die Kosten belaufen sich auf eine Milliarde Dollar und werden zu 85 Prozent von den Vereinigten Staaten getragen.
Die Zeichen des amerikanischen Lebens sind überall zu sehen. Innerhalb der Basis Ramstein gibt es ein Bowlingcenter und einen Golfplatz. Es gibt zwei Kirchen, von denen eine katholische, evangelische, jüdische und islamische Gottesdienste anbietet. Außerdem gibt es ein großes Hallenbad, zwei Postämter, eine Zahnarztpraxis, eine 24-Stunden-Tankstelle, Restaurants und Bars. Das Bildungsangebot reicht vom Kindergarten bis zur High School.
Und auch ein zentrales, riesiges Einkaufszentrum darf natürlich nicht fehlen, das KMCC - Kaiserslautern Military Community Center. Hier gibt es Geschäfte für militärische und zivile Kleidung, Friseure und Juweliere sowie einen mit Tarnfarben geschmückten Food Court, in dem sich die bekanntesten amerikanischen Marken - von Taco Bell bis Dunkin' Donuts, von Charley Cheesesteaks bis Popeye's Louisiana Kitchen - tummeln.
Auch eine Wochenzeitung, der Kaiserslautern American, erscheint in Ramstein. Sie wird von zwei Militärfrauen, der Amerikanerin Jennifer Green-Lanchoney und der Deutschen Gina Hutchins, herausgebracht: „Wir machen keinen investigativen Journalismus“, erklärt Jennifer Green-Lanchoney „Wir versuchen, den Amerikanern zu helfen, die Region zu verstehen.“ Zusätzlich zu den militärischen Nachrichten gibt es eine Agenda mit den wichtigsten Ereignissen in der Region, Ausflugs- und Veranstaltungs-Tipps und einige Artikel, die die lokale Politik erklären. „Der Luftwaffenstützpunkt Ramstein ist kein amerikanisches Territorium, wie eine Botschaft“, erklärt Gina Hutchins, „hier gelten deutsche Regeln.“
Dennoch ist die amerikanische Präsenz in der gesamten Region unübersehbar. „Manchmal haben wir Beschwerden von deutschen Bürgern wegen des Lärms der Flugzeuge, oder weil jemand am Sonntag den Rasen vor seinem Haus mäht oder nachts den Müll entsorgt, obwohl das hier verboten ist“, berichtet Roberto Costa, der Leiter des deutsch-amerikanischen Gemeinschaftsbüros. Seine Aufgabe ist es, die Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern in der Region zu stärken und Neuankömmlingen sämtliche Fragen zu beantworten. „Es gibt sehr viele organisatorischen Probleme, wie die Verlängerung von Visa, die Gültigkeit von Führerscheinen und die Regeln für die Eröffnung eines Unternehmens“, so Costa. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 2003 hat das Büro mittlerweile 50.000 Menschen geholfen.
Auch als Wirtschaftsfaktor sind die Amerikaner aus Ramstein nicht mehr wegzudenken, was auch Ortsbürgermeister Ralf Hechler weiß. „Eine Studie zeigt, dass unsere Region durch die amerikanische Präsenz jährlich 2,3 Milliarden Euro einnimmt. Anders als im Rest des Landes gibt es hier praktisch keine Arbeitslosigkeit. Wenn die Amerikaner Ramstein verlassen würden, würde die Region drei Jahrzehnte brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen.“
Das bringt auch Probleme mit sich - und das gibt auch Hechler zu. „Da mehr als die Hälfte der Militärangehörigen außerhalb des Stützpunktes wohnt, ist die Spekulation mit Immobilienpreisen enorm, und die einheimische Bevölkerung kann es sich nicht immer leisten, hier zu wohnen“, sagt er. Der Bevölkerungsgürtel um den Stützpunkt wird im Laufe der Jahre immer breiter, was die Schaffung neuer Infrastrukturen erforderlich macht. „Jeden Tag fahren 15.000 Autos auf dem Weg zum Stützpunkt durch das Stadtzentrum. Wir sind eigentlich ein kleiner Ort, und dann stellt sich heraus, dass wir es nicht sind.“
Vor der Eröffnung des Stützpunktes lebten in Ramstein 2.000 Menschen. Heute sind es 15.000. „Während die anderen Kommunen in diesem Teil von Rheinland-Pfalz eine halbe Million Euro an Wohngeldern einnehmen, sind es bei uns sieben Millionen.“ Das Problem, so betont er, ist die Unterbringung. „Die Flächennutzungspläne erlauben es uns nicht, mehr zu bauen, obwohl wir der Meinung sind, dass wir sozialen und erschwinglichen Wohnraum brauchen, um die Bevölkerung zu halten. Es gibt viele Menschen, die von weit her anreisen, um hier zu arbeiten, und das macht keinen Sinn.“
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Der Handel in den Dörfern rund um die Basis zeigt, dass wir uns in Little America befinden. Wer durch das Dorf Landstuhl fährt, dem fallen amerikanischen Zahnärzte, Friseure und Nagelstudios auf, die mit der jeweiligen Flagge geschmückt sind, sowie die Bars, die wie Saloons aussehen, und die Restaurants, die Chicken and Waffles servieren.
Im Dorf Ramstein eröffnete Andreas Hausmann nicht nur ein Hotel namens „American“, sondern auch das Restaurant Big Emma. „Meine Idee war es, große Portionen zu servieren, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika üblich sind. Das mache ich natürlich bei den Burgern, aber auch bei den Schweinshaxen, die typisch deutsch sind“. Die Kundschaft ist zu 60 Prozent amerikanisch.
„Meine Familie lebt seit vier Generationen hier, und wir wissen, wie die Amerikaner alles verändert haben. Unsere Kinder hier, auch die deutschen, spielen Fußball, ja, aber auch Baseball. Nach 70 Jahren sind wir eine Mischung aus zwei Kulturen“.
Dieser Artikel erschien zuerst bei „Contacto“.
Übersetzung ins Deutsche: Dustin Mertes.
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