Historische Anklage gegen Trump stellt US-Demokratie auf die Probe
Historische Anklage gegen Trump stellt US-Demokratie auf die Probe
Von Thomas Spang (Washington)
In den vergangenen Tagen zeigte sich der Ex-Präsident gegenüber Besuchern in Mar-a-Lago in bester Laune. Donald Trump hatte sich selbst davon überzeugt, dass der Chefankläger von Manhattan, Alvin Bragg, auf eine Anklage wegen der Schweigegeld-Zahlungen an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels wohl verzichten werde. Andernfalls müsste dieser wohl „goldene Handschellen“ für einen ehemaligen Präsidenten besorgen, scherzte Trump, der vor neun Tagen noch das Gerücht seiner unmittelbar bevorstehenden Festnahme in die Welt gesetzt hatte.
Am Donnerstag lernte Trump, dass auch ein ehemaliger Präsident nicht über dem Gesetz steht. Die Nachricht aus New York traf nicht nur ihn, sondern sein ganzes Team aus Beratern völlig unvorbereitet. Einige Anwälte hatten sich in den Urlaub abgemeldet, weil sie mit einer langen Unterbrechung bei Braggs als „Zombie-Fall“ verhöhnten Ermittlungen rechneten. Sie hatten sich verkalkuliert. Die Grand Jury empfahl, Trump den Prozess zu machen.
Trump erwartet ein Spießrutenlauf
Jetzt hat der Ex-Präsident am kommenden Dienstag einen Ortstermin im Gerichtspalast an der 100 Centre Street von Manhattan. Die 36.000 Polizisten der Metropole sind in Alarmbereitschaft, um das erwartete Spektakel nicht in Chaos ausufern zu lassen. Mit Grauen hatte der Ex-Präsident live im Fernsehen den Spießrutenlauf seines Finanzchefs Allen Weisselberg verfolgt, der 2021 versuchte, im Morgengrauen unerkannt durch einen Hintereingang ins Gericht zu gelangen.
Er könne „nicht glauben, was die mit einem alten Mann machen“, beschwerte sich Trump damals gegenüber Mitarbeitern über die erkennungsdienstliche Behandlung Weisselbergs, der nach New Yorker Brauch in Handschellen vor den Richter trat. Eine Erfahrung, die ihn nach Aussagen von Vertrauten um den Schlaf gebracht hat. Die Demütigung, vorgeführt zu werden, sei für den Narzissten das Schlimmste.
Sie wird dem Angeklagten nicht völlig erspart bleiben. Obwohl Chefankläger Bragg wegen der historischen Natur der ersten Anklage gegen einen ehemaligen US-Präsidenten in der Geschichte bereit ist, Ausnahmen zu machen. So erlaubte er den Aufschub der ursprünglich für diesen Freitag geplanten Vorführung auf kommende Woche.
Die nötige Koordination mit dem „Secret Service“, der auch Ex-Präsidenten auf Schritt und Tritt folgt, erwies sich als kurzfristig kaum machbar. Trump muss auch nicht durch den Haupteingang kommen und kommt vielleicht um die Handschellen herum.
„Aber er wird seinen 'Mugshot' bekommen und seine Fingerabdrücke abgeben müssen“, erklärt der ehemalige Harvard-Professor Alan Dershowitz den Zuschauern im MAGA-Kanal „Newsmax“. „Da führt kein Weg drumherum“.
Dershowitz rät seinem angeklagten Freund, politisches Kapital daraus zu schlagen und das Polizei-Foto auf Wahlkampfplakate zu drucken.
Trumps Anwalt Joseph Tacopina erklärte, sein Mandant habe vor, sich freiwillig zu stellen. „Er hat keinerlei Verbrechen begangen und wird gegen diese politische Anklage vor Gericht kämpfen“. Der Ex-Präsident selbst reagierte für seine Verhältnisse eher kleinlaut: „Das ist politische Verfolgung und Wahlbeeinflussung auf dem historisch höchsten Niveau.“
Republikaner sprechen von gezielter Kampagne
Trump wiederholte nicht wie vor neun Tagen seinen Aufruf zu Protesten, denen kaum jemand gefolgt war. Er sprach auch nicht mehr mit Gewalt, wie nach seiner Kundgebung in Waco, als er dem schwarzen Chefankläger in einer Montage mit einem Baseballschläger drohte. Aber er erneuerte den antisemitischen Vorwurf, Bragg, sei ein vom jüdischen Milliardär George Soros handverlesener und finanzierter Staatsanwalt.
Der Hinweis auf seine Hautfarbe und die angebliche Fernsteuerung des Verfahrens durch Soros fehlte auch vielen anderen Reaktionen aus dem Lager der Republikaner nicht.
Mit Ausnahme des Minderheitsführers im Senat, Mitch McConnell, verurteilten die Spitzen der Partei die Anklage gegen Trump als beispiellose Politjustiz. Speaker Kevin McCarthy setzte den Ton, indem er von „einem Versuch der Einmischung in unsere Präsidentschaftswahlen“ sprach.
130.000 Dollar Schweigeld
Wenn sich Trump zur formellen Eröffnung der Anklage nicht vor dem Richter einfindet, wird er wie ein Gesetzesflüchtling behandelt. Das erschwerte seinen Wahlkampf mehr als die laufenden Ermittlungen in Georgia wegen des versuchten Eingriffs in die Wahlen und denen von Sonderermittler Jack Smith in der Dokumenten-Affäre und seiner Rolle beim 6. Januar ohnehin schon.
Verglichen mit diesen Fällen gilt die New Yorker Anklage unter Experten als die mit den besten Aussichten für Trump. Wenngleich bisher noch nicht bekannt ist, was Bragg an Beweisen präsentiert.
Aufschluss darüber wird der Gerichtstermin in Manhattan geben. Nach an die Medien durchgesickerten Informationen soll es um 30 Punkte gehen, die alle einen Tatbestand beweisen sollen: Dass der damalige Kandidat auf der Zielgeraden des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 Daniels mit einer verschleierten Zahlung von 130.000 Dollar dazu brachte, nicht über eine Affäre nach der Geburt seines Sohnes Barron zu sprechen.
Trumps ehemaliger Hausanwalt und „Fixer“ für heikle Angelegenheiten, Michael Cohen, arrangierte die Zahlung an die Porno-Darstellerin. Während sein Auftraggeber ins Weiße Haus zog, wanderte Cohen hinter Gitter.
Ein Bundesgericht verurteilte ihn 2018 zu drei Jahren Gefängnis. Dass der in dem Verfahren als „Individual 1“ bezeichnete Trump ungeschoren davonkam, verdankte er seinem Justizminister William Barr, der die Bundesanwälte anwies, nicht gegen einen Präsidenten zu ermitteln.
Mögliche Folgen für Präsidentschaftswahlen
Jetzt ist der Ex-Präsident nur noch eine Privatperson. Zudem wird er nach dem Recht des Bundesstaats New York verfolgt, auf das er ohnehin keinen Einfluss hat. Politisch versucht Trump aus der Anklage sprichwörtlich Kapital zu schlagen. Wie nach der Durchsuchung des Anwesens durch das FBI und der erfundenen Behauptung seiner unmittelbaren Festnahme feuerte sein Wahlkampfteam Spendenaufrufe heraus.
„Gebt mindestens 24 Dollar“, heißt es darin unter Anspielung auf das Wahljahr. „Um unsere Bewegung gegen die niemals endenden Hexenjagden zu verteidigen“.
Analysten sind geteilter Meinung, ob die Anklage in New York Trump dabei hilft, ins Weiße Haus zurückzukehren.
Analysten sind geteilter Meinung, ob die Anklage in New York Trump dabei hilft, ins Weiße Haus zurückzukehren. Bei den Vorwahlen seiner Partei könnte er einen Solidaritäts-Bonus bekommen und die Republikaner hinter sich einen. Ob ihm dies bei einer möglichen Neuauflage eines Rennens gegen Joe Biden helfe, sei hingegen fraglich.
Dafür spricht auch eine Umfrage der Quinnipiac University vom Mittwoch. Darin äußerten 57 Prozent der Amerikaner die Ansicht, dass eine Anklage Trump von einer Kandidatur disqualifizieren sollte. Nur ein Bruchteil der Republikaner sieht das so.
Der Historiker Michael Beschloss meint, sicher sei, dass Chefankläger Bragg ein Tabu gebrochen habe. Die Amerikaner lebten geschichtlich gesehen nun in einem anderen Land.
Vor der Anklage seien „Präsidenten in diesem Land wie Könige behandelt worden“. Jetzt stünden sie wie alle anderen Bürger unter dem Gesetz – mit oder ohne Handschellen in Trumps Fall, aber gewiss nicht mit goldenen.
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