Hans-Georg Maaßen ist nicht das größte Problem der CDU
Hans-Georg Maaßen ist nicht das größte Problem der CDU
Von Cornelie Barthelme (Berlin)
High Noon bei den deutschen Christdemokraten. Auf die Idee, dem neuen Vorsitzenden der sogenannten Werteunion und Parteiärgernis Hans-Georg Maaßen ein Austritts-Ultimatum auf Sonntagmittag um zwölf zu stellen, muss einer erst mal kommen. Man ist versucht, sich den CDU-Chef Friedrich Merz vorzustellen wie einst Gary Cooper als Marshall Will Kane, und die CDU wäre Grace Kelly, um die der Bösewicht seine Arme geschlungen hat. Aber zum einen ist die Sache ernst - und zum anderen stimmt das Bild vor allem insofern, als Maaßen in Sachen CDU von ähnlicher Vergeltungslust getrieben scheint wie der Bandit Frank Miller in Fred Zinnemanns Western.
Vorgeschichte
Maaßen, dem einstigen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, gekränkte Eitelkeit zuzumessen und verletzten Stolz, ist keine Küchenpsychologie. Dass er in Unehren in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, treibt den 60 Jahre alten Ex-Obergeheimdienstler sehr viel mehr um als der Grund für das abrupte Ende seiner Karriere als politischer Spitzenbeamter. Maaßen hatte sich 2018 als Geheimdienstchef im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Ausschreitungen auf dem Stadtfest von Chemnitz in Sachsen in Spekulationen ergangen und Hetzjagden auf Ausländer abgestritten - während die ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft sie für möglich hielt, aber feststellte, es gebe weder Beweise dafür noch dagegen. Union und SPD, das ganze Kabinett Merkel IV, war einig, Maaßen habe sich fachlich unmöglich gemacht als oberster Verfassungsschützer.
Auf Betreiben von Innenminister und CSU-Vorsitzendem Horst Seehofer wurde er allerdings zunächst nicht entlassen, sondern zum Staatssekretär in dessen Haus hochgelobt. Erst als Maaßen in seiner Abschiedsrede vor Vertretern der europäischen Inlandsgeheimdienste - die er anschließend im Intranet des Verfassungsschutzes allen Mitarbeitern zugänglich machte - über „linksradikale Kräfte in der SPD“ zürnte, fand das selbst Seehofer „inakzeptabel“.
Jemand, der sich derart in verschwörungsideologischen und antisemitischen Gefilden auch noch wohlzufühlen scheint, steht einer demokratischen Partei nicht gut zu Gesicht.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden
Seitdem provoziert Maaßen die CDU, in der er seit 45 Jahren Mitglied ist, so gut er nur kann. Sein Repertoire reicht dabei vom Vorwurf, lasch und links geworden zu sein auf Anweisung der früheren Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel, über Verschwörungstheorien zu Flüchtlingskrise und Covid-Pandemie bis zum Referieren von antisemitischen und rassistischen Ressentiments. Schon vor gut zwei Jahren schrieb Maaßen gemeinsam mit einem Co-Autor im neurechten Politikmagazin „Cato“ von „Wirtschaftsglobalisten“ - unter Rechtsextremisten ein antisemitisches Codewort. Jüngst fabulierte er dann in einem Blog von „einer rot-grünen Rassenlehre, nach der Weiße als minderwertige Rasse angesehen werden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse“.
In der Folge warf ihm der Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Jens-Christian Wagner, „klassische rechtsextreme Schuldumkehr“ vor. Und der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte dem TV-Magazin „Kontraste“: „Jemand, der sich derart in verschwörungsideologischen und antisemitischen Gefilden auch noch wohlzufühlen scheint, steht einer demokratischen Partei nicht gut zu Gesicht.“
Ultimatum an Maaßen
Bis dahin hatte die von Maaßen herausgeforderte CDU-Spitze ebenso geschwiegen wie die Mehrheit der Mitglieder. Laut wurden vor allem die Christdemokraten, die seine Umtriebe am allerrechtesten Rand für richtig halten und für klug obendrein. Der Kreisverband Schmalkalden-Meiningen etwa, der Maaßen 2021 gern fürs südlichste Thüringen in den Bundestag geschickt hätte. Allein: Die Wählerinnen und Wähler wollten lieber nicht. Und doch schaffte Maaßen mit 22,3 Prozent das drittbeste Resultat der acht Thüringer CDU-Bewerber. Und fungiert seit vergangenem Mai für den Kreisverband als „Bürgerbeauftragter“ - eine extra für ihn geschaffene Position.
Erst jetzt, nachdem Maaßen zudem per Twitter zürnt, ein „eliminatorischer Rassismus gegen Weiße“ beherrsche den „politischen-medialen Raum“, reagiert das Konrad-Adenauer-Haus - und fordert ihr Mitglied zum Austritt auf, weil er „laufend gegen die Grundsätze und Ordnung der Partei“ verstoße. Frist: Sonntagmittag um zwölf. Widrigenfalls habe das Präsidium bereits „einstimmig“ beim Bundesvorstand ein Parteiausschlussverfahren beantragt – und dazu, Maaßen „mit sofortiger Wirkung die Mitgliedsrechte zu entziehen“.
Gleichzeitig wird im Konrad-Adenauer-Haus so getan, als sei Maaßen ein Einzelfall, ein Verirrter im politischen Geist, den man einfach nur ignorieren muss - und nun, wo das nicht mehr geht, eben loswerden. Nur: Das ist eine Illusion. Die Partei hat nicht wenige, die denken und reden wie Maaßen. Da ist der Bautzener Landrat Udo Witschas, der in seiner jüngsten Weihnachtsansprache Flüchtlinge pauschal „eine Gefährdung des sozialen Friedens“ nannte. Da waren die beiden sachsen-anhaltinischen Vize-Fraktionschefs, die 2019 in einem „Denkpapier“ forderten, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“ und eine Koalition mit der AfD keinesfalls auszuschließen - pfeif’ auf alle gegensätzlichen Parteitagsbeschlüsse.
Die CDU, Merz vorneweg, müsste einen wie Maaßen nicht fürchten.
Und wem scheint, beides sei viel zu weit weg von der Parteizentrale: Merz’ Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer warf 2020 nach gerade mal 14 Monaten als Vorsitzende hin, weil sie die Thüringer Landtagsfraktion nicht zur Räson bekam. Die hatte gemeinsam mit der AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt - um eine zweite Amtszeit des Linken Bodo Ramelow zu verhindern, dem mit seiner rot-rot-grünen Koalition eine Stimme fehlte.
Ost-West-Spaltung
Kein Zufall ist, dass alle diese Beispiele aus den jungen deutschen Ländern stammen, samt Maaßens Thüringer Kandidatur. Die CDU von Merkel bis Merz wollte und will ihr wirkliches Problem nicht sehen: Dass nicht nur, aber besonders zwischen Rügen und Suhl, zwischen Eisenach und Görlitz eine Definition von modernem, zeitgemäßem Konservativismus bis zur Orientierungslosigkeit vermisst wird. Maaßen kann mit seinem reaktionären Gerede so reüssieren, weil die CDU sich nicht der Mühe unterziehen mag, auszudiskutieren, was christdemokratisch ist im Jahr 2023 fortfolgende. Und vor allem: Was und wer ganz sicher nicht.
Wäre das klar, stünde das fest: Die CDU, Merz vorneweg, müsste einen wie Maaßen nicht fürchten. Im Film übrigens wirft Gary Cooper den Sheriffstern in den Staub und fährt davon. Obwohl er den Bösewicht besiegt hat. Was auch immer am Sonntagmittag passiert: Das - ganz sicher nicht.
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