Fragen und Antworten zur "Sea-Watch 3"
Fragen und Antworten zur "Sea-Watch 3"
Was ist Sea-Watch?
Der Verein Sea-Watch e.V wurde 2015 in Berlin gegründet. Sein Ziel ist die Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Zu den Forderungen der Nichtregierungsorganisation gehört die Schaffung sicherer und legaler Einreisemöglichkeiten nach Europa. Der Verein finanziert seine Aktivitäten über Spenden und den Verkauf von Merchandise-Artikeln. Zu den rund 12.000 Spendern gehören unter anderem die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland.
Was ist die "Sea-Watch 3"?
Die "Sea-Watch 3" ist ein 1972 in Dienst gestelltes Schiff, das seitdem zahlreiche Besitzer hatte. Seit 2015 wird es zur Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt, damals gehörte es "Ärzte ohne Grenzen". 2017 ging das Schiff an Sea-Watch über und heißt seitdem "Sea-Watch 3". Es ist in den Niederlanden registriert.
Im Juni 2018 hatten die maltesischen Behörden der Sea-Watch 3 die Ausfahrt verweigert, im Januar 2019 verbot ihr die italienische Regierung die Einfahrt in einen italienischen Hafen. Damals entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach einer Klage des Kapitäns, dass Italien zumindest die medizinische Versorgung und die Verpflegung für die Personen an Bord übernehmen müsste. Mitte Mai 2019 hatte die "Sea-Watch 3" 65 Personen vor der libyschen Küste aufgenommen, die erst nach langem Ringen mit der italienischen Regierung an Land gebracht wurden - das Rettungsschiff selbst durfte sich der Insel Lampedusa aber nicht weiter als auf 15 Meilen nähern. Später wurde es von der italienischen Regierung beschlagnahmt und am 1. Juni 2019 wieder freigegeben.
Wer ist Carola Rackete?
Die Kapitänin der "Sea-Watch 3" wurde 1988 in Norddeutschland geboren. Sie absolvierte ein Nautik-Studium und fuhr anschließend als nautische Offizierin zur See - zuerst auf Kreuzfahrtschiffen, dann aber auch für Greenpeace und auf Expeditionen des in der Polarforschung renommierten Alfred-Wegener-Instituts. Seit 2018 ist sie ehrenamtliche Kapitänin der Sea-Watch 3.
Was ist genau passiert?
- 12. Juni: Die "Sea-Watch 3" nimmt 53 Menschen vor der libyschen Küste auf, darunter Frauen und Kinder. Sie waren auf einem Schlauchboot in Seenot geraten - nach Angaben von Sea-Watch etwa 47 Seemeilen vor der libyschen Küste in internationalen Gewässern. Die italienische Küstenwache bringt elf Menschen aus medizinischen Gründen an Land, die "Sea-Watch 3" erhält keine Erlaubnis zum Einlaufen, bleibt aber vor der Küste von Lampedusa.
- 21. Juni: Kapitänin Rackete und mehrere Gerettete beantragen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine einstweilige Anordnung, um eine Erlaubnis zum Einlaufen zu erzwingen.
- 25. Juni: Der Antrag wird abgelehnt. Es gebe "kein unmittelbares Risiko für irreparablen Schaden".
- 26. Juni: Trotz angedrohter Geldstrafen dringt die "Sea-Watch 3" in italienische Hoheitsgewässer ein. Der Grund dafür seien laut Rackete die Androhungen einiger Migranten, über Bord zu springen, was einem Suizid gleichkäme. Die Küstenwache stoppt das Schiff.
- 29. Juni: Rackete unternimmt ein waghalsiges Anlegemanöver im Hafen von Lampedusa, bei dem ein Boot der italienischen Finanzpolizei gegen die Kaimauer gedrückt wird. Rackete entschuldigt sich bei der Besatzung und begründet den Zwischenfall mit einem Navigationsfehler. Ihr sei aber aufgrund der unzumutbaren Zustände an Bord keine Wahl geblieben. Die Kapitänin wird noch im Hafen verhaftet. Ihre Passagiere gehen einige Stunden später an Land.
Was sagt das Seerecht?
Grundsätzlich ist jeder Kapitän zur Hilfe in einer Notsituation verpflichtet. Dazu gibt es drei internationale Abkommen: Das Internationale Abkommen über Seenotrettung ("SAR-Abkommen"), das Internationale Abkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen. Gerettete sind dabei nicht notwendigerweise in den nächsten Hafen zu bringen, sondern "an einen sicheren Ort", und das innerhalb einer "angemessenen Zeit".
Warum hat Rackete die Flüchtlinge nicht zurück nach Libyen gebracht?
Weil es verboten ist. Libyen hat zwar das Internationale Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS) als auch das Internationale Übereinkommen über Seenotrettung unterzeichnet, kommt den sich daraus ergebenden Verpflichtungen laut Amnesty International aber nicht nach. Wichtiger noch: Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und humanitären Situation in Libyen schließt das Seerecht ein Zurückbringen aus, weil Libyen die Definition eines "sicheren Ortes" der Vereinten Nationen nicht erfüllt: "ein Ort, an dem das Leben der Überlebenden nicht mehr weiter in Gefahr ist und an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse gedeckt werden können".
Es liegen mittlerweile mehrere internationale Berichte darüber vor, dass in den Flüchtlingslagern systematisch gefoltert wird. Das deutsche Auswärtige Amt spricht in einem Bericht von "allerschwersten Menschenrechtsverletzungen" und "KZ-ähnlichen Verhältnissen". Die Rede war auch schon von Vergewaltigungen, Misshandlungen und sogar Sklavenmärkten.
... oder in ein anderes Land?
Laut Auskunft von Sea-Watch wurden Häfen in anderen Ländern angefragt. Aus Malta habe man eine Absage bekommen, auch Tunesien lehnte ab. Frankreich habe nicht auf die Anfrage reagiert. Wie der Sprecher des Vereins, Ruben Neugebauer, weiter ausführt, sei eine Fahrt nach Frankreich aber auch zu riskant gewesen, weil die "Sea-Watch 3" dafür die Küstennähe hätte verlassen müssen und eine schnelle Reaktion in einem medizinischen Notfall unmöglich gewesen wäre. Rackete entschied sich, vor Lampedusa auf eine Erlaubnis oder zumindest eine Entscheidung zu warten.
Was passiert mit den 40 Geretteten?
Die Passagiere der "Sea-Watch 3" sind derzeit in einem Auffanglager auf Lampedusa untergebracht. Es soll jetzt auf EU-Ebene geklärt werden, wie ihre Reise weitergeht. Bereits vor der Ankunft im Hafen von Lampedusa hatten sich mehrere EU-Staaten bereit erklärt, sie aufzunehmen, darunter auch Luxemburg.
Der italienische Innenminister Salvini hatte angedroht, die Migranten nicht wie vorgesehen registrieren zu lassen, sondern sie direkt weiterzuschicken. Das wäre allerdings ein Verstoß gegen die Dublin-Verordnung.
Was sind die möglichen Folgen für Carola Rackete?
Rackete ist derzeit unter Hausarrest. Ihr Vater berichtet in Interviews, sie sei "bei einer sehr netten älteren Dame untergebracht". Für Montagnachmittag ist eine erste Befragung terminiert. Zu den Vorwürfen "Beihilfe zur illegalen Einwanderung" und "Verletzung des Seerechts" gesellt sich nach Racketes Anlegemanöver auch noch der des "Widerstands gegen die Staatsgewalt". Laut italienischen Medienberichten könnte das bis zu zehn Jahre Haft zur Folge haben. Salvini nannte das Manöver "eine kriegerische Handlung", Sea-Watch wehrt sich gegen diese Wortwahl und betont, Rackete habe sich an geltendes Recht gehalten. Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn setzte sich auf Facebook bei seinem italienischen Amtskollegen für Rackete ein.
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