Exekution ohne eine letzte Umarmung
Exekution ohne eine letzte Umarmung
Von Michael Wrase
Auch sein letzter Wunsch vor seiner Hinrichtung blieb Mohammed Mahdi Karami verwehrt. Wie bei Todeskandidaten normalerweise üblich, wollte der 22 Jahre alte Iraner noch einmal seine Eltern sehen, seine Mutter ein allerletztes Mal umarmen. Aus Protest gegen die unfassbare Herzlosigkeit der Justiz war Mahdi, ein ehemaliges Mitglied der iranischen Karate-Nationalmannschaft, daraufhin in einen Hungerstreik getreten, ehe er am frühen Samstagmorgen an einem Baukran aufgehängt wurde.
Ob auch der 39-jährige Sajed Mohammed Husseini ohne ein Abschiedstreffen mit seinen Eltern hingerichtet wurde, ist nicht bekannt.
Die beiden jungen Männer sollen als „Hauptverantwortliche“ ein Mitglied der Basidsch-Brigaden, einer regimetreuen Freiwilligen-Miliz, nackt ausgezogen und getötet haben. Ihre Verurteilung erfolgte nach „erpressten Geständnissen in einem Scheinprozess“, kritisierte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. Zuvor seien die Angeklagten „massiver Folter“ ausgesetzt gewesen, erklärte Mahmud Amiry-Moghaddam, der Direktor der in Oslo ansässigen Gruppe „Iran Human Rights“.
Weltweite Entrüstung
„Die politischen Kosten der Hinrichtungen im Iran“ müssten jetzt weiter steigen, forderte Nazanin Boniadi, eine britische Schauspielerin iranischer Herkunft, die von Amnesty International zur Botschafterin ernannt wurde. Eine EU-Sprecherin forderte die iranischen Behörden auf, „die höchst verwerfliche Praxis, Todesurteile gegen Demonstranten zu verhängen und zu vollstrecken, sofort zu beenden“. Die beiden Männer seien gehängt worden, „weil sie sich dem brutalen und menschenverachtenden Handeln (des Regimes) nicht unterwerfen wollten“, twitterte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.
Mit den am Samstag erfolgten Hinrichtungen hat sich die Zahl der bekannten Exekutionen im Zuge der seit September anhaltenden Massenproteste auf vier verdoppelt. 516 Iranerinnen und Iraner kamen bei der versuchten Niederschlagung der Proteste ums Leben, welche durch den Tod von Jina Amini in einem Gefängnis der Sittenpolizei ausgelöst wurden. Die junge Kurdin war verhaftet worden, weil sie ohne Kopftuch oder Hijab gegen die im Iran geltende Verhüllungspflicht protestiert hatte.
Das Kopftuch gehört zur Identität der Islamischen Republik. Es mache „auf eine bestimmte Art und Weise am allermeisten den Charakter der Islamischen Republik aus“, erklärt die Islamwissenschaftlerin Katajun-Amirpur. Bei der Durchsetzung der Hijabpflicht verliert das islamische Regime allerdings zunehmend an Boden.
Mit wachsender Dauer der Proteste wagen sich immer mehr Iranerinnen ohne ein Kopftuch auf die Straßen. Belangt werden sie für diese Unbotmäßigkeit nur noch selten. Vor allem in den Einkaufszentren der Millionenstädte Teheran, Schiraz und Isfahan scheinen die meisten Frauen inzwischen auf eine Verhüllung gänzlich zu verzichten. Dies belegen Kurzfilme in den sozialen Medien. Selbst in den traditionell eher konservativen Basaren iranischer Städte wächst die Zahl derjenigen Frauen, die unverhüllt zum Einkauf gehen.
Belangt werden Frauen ohne Kopftuch in den Straßen Irans nur noch selten.
Fragt man nach Gründen, erhält man in der Regel gleichlautende Antworten: „Wir haben keine Angst mehr“. Zudem habe das Regime längst nicht mehr die Kapazitäten, alle Frauen ohne Kopftuch zu verhaften. Solange sie ihren Protest auf den bloßen Kopftuch-Verzicht beschränkten und sich nicht den Aktionen der Regimegegner anschließen, würden sie von den Sicherheitsorganen meist in Ruhe gelassen, berichten Beobachter in Teheran.
Hardliner bei der Polizei
Dennoch ist es zu früh, bereits von einer Kapitulation des Regimes zu sprechen. Zur besseren Einhaltung der islamischen Kleiderordnung wurde am Wochenende der Chef der iranischen Polizei, Hussein Aschtari, durch seinen Stellvertreter Ahmed-Resa Radan ersetzt. Der Hardliner steht wegen fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen auf der Sanktionsliste der USA.
Radan, so heißt es in Teheran, wolle nun mit „subtileren Mitteln“ das landesweite Verhüllungsverbot durchsetzen. So sollen Frauen, die keinen Hijab tragen, mithilfe von Überwachungskameras identifiziert werden. Nach iranischen Presseberichten könnten ihre Konten gesperrt und Sozialleistungen gestrichen werden. In der Diskussion ist zudem die Schließung und Versiegelung von Geschäften, die Frauen bedienen, die sich nicht an die Kleiderordnung halten.
Die immer weiter verbreitete „Entschleierung in der Öffentlichkeit“, hatte der iranische Generalstaatsanwalt Mohammed Jafar Montazeri in der letzten Woche behauptet, sei ein „von den Feinden der Islamischen Republik geplanter und geförderter Akt“. Dieser müsse als „Verbrechen gewertet“ werden.
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