Evakuierung stockt: Tausende harren am Flughafen Kabul aus
Evakuierung stockt: Tausende harren am Flughafen Kabul aus
(dpa) - Die Evakuierung von Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Bundeswehr ist angesichts chaotischer Verhältnisse am Flughafen zeitweise ins Stocken geraten. Zwei am Samstag gestartete deutsche Flieger brachten nur sieben beziehungsweise acht Personen nach Usbekistan, wie die Bundeswehr via Twitter mitteilte. Später flog dann ein weiterer Bundeswehr-Transporter 205 Schutzbedürftige aus dem von den militant-islamistischen Taliban eroberten Land aus.
Große Probleme gab es bei den Zugängen zum Kabuler Flughafen, an dem sich weiterhin dramatische Szenen abspielen. Ein Augenzeuge berichtete, dass dort Tausende Menschen ausharrten. „Sicherheitslage am Flughafen in Kabul ist weiterhin äußerst gefährlich, Zugang zum Flughafen häufig nicht möglich. Nach unserem Kenntnisstand sind die Gates derzeit geschlossen“, twitterte das deutsche Auswärtige Amt.
„Derzeit ist es grundsätzlich sicherer, zu Hause oder an einem geschützten Ort zu bleiben“, schrieb die deutsche Botschaft in Kabul an Landsleute. Die US-Botschaft rief amerikanische Staatsbürger am Samstag dazu auf, den Flughafen aufgrund möglicher Sicherheitsbedrohungen zu meiden. Die afghanische zivile Luftfahrtbehörde machte deutlich, dass es weiter keine zivilen und kommerziellen Flüge geben werde.
Die US-Streitkräfte versicherten am Samstag, dass die Eingangstore geöffnet seien. Sie seien in den vergangenen 24 Stunden nur kurzfristig geschlossen worden, damit „die richtigen Leute“ passieren konnten, sagte US-Generalmajor William Taylor am Samstag im Pentagon.
Helikopter einsatzbereit
Die Bundeswehr hat zwei Hubschrauber nach Kabul verlegt, um mehr Möglichkeiten bei den Evakuierungen zu haben. Die wendigen Helikopter kamen am Samstagmorgen in Kabul an und sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums einsatzbereit. Es sei geplant, damit in Kabul „kleinere Gruppen zu Evakuierender im Stadtgebiet aufzunehmen und sicher zum Flughafen zu transportieren“, teilte die Bundeswehr mit. Informationen über konkrete Einsätze gab es zunächst nicht. Die Hubschrauber können nach Angaben von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nur in Abstimmung mit den Amerikanern und den anderen Partnerstaaten vor Ort eingesetzt werden.
Die luxemburgische A400M ist am Mittwoch von ihrer Basis im belgischen Melsbroek in Richtung Hindukusch gestartet. Derzeit sitzen neun Personen mit Bezug zu Luxemburg in Kabul fest. „Die größte Schwierigkeit für sie besteht darin, dass die Menschen nicht zum Flughafen kommen“, so Außenminister Jean Asselborn am Samstagmorgen auf RTL Radio.
Seit Samstag soll zudem der Vizechef der militant-islamistischen Taliban in Kabul sein, sagten Taliban-Kreise. Mullah Abdul Ghani Baradar wolle mit Taliban-Mitgliedern und weiteren Politikern über die Bildung einer neuen Regierung sprechen, hieß es weiter. Baradar wäre der bislang höchstrangigste Taliban-Führer, der in Kabul eingetroffen ist. Bilder von ihm in der Stadt gab es allerdings auch am Abend noch nicht. Wo sich Taliban-Führer Haibatullah Achundsada und seine zwei weiteren Stellvertreter befinden, ist unklar.
Bis zu 14.000 Menschen am Flughafen
Vor knapp einer Woche hatten die Taliban Kabul erobert und die Macht übernommen. Seitdem fürchten Oppositionelle, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und auch Ortskräfte, die für westliche Staaten tätig waren, Racheaktionen an sich. Es ist weitgehend unklar, wie die Islamisten dieses Mal herrschen werden. Es wird befürchtet, dass die Extremisten wieder ein islamisches „Emirat“ errichten wollen und dabei mit drakonischen Strafen gegen Andersdenkende vorgehen.
Ein zweiter Augenzeuge sagte, dass sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten am Flughafen Kabul befänden. Er habe Schauspieler in der Menge gesehen, bekannte Fernsehpersönlichkeiten, Jugendliche, Frauen mit neugeborenen Babys oder Menschen im Rollstuhl. Der US-Sender CNN berichtete unter Berufung auf eine „informierte Quelle“, dass rund 14.000 Menschen am Flughafen seien.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestätigte, dass mit den Taliban gesprochen werde, um die Evakuierungen zu erleichtern. Die Verhandlungen bedeuteten aber keineswegs eine Anerkennung der neuen Regierung, betonte die CDU-Politikerin bei einem Besuch in Spanien.
Sie stellte zudem eine Erhöhung der humanitären Hilfe der Europäischen Union in Aussicht. Es werde allerdings keine Mittel für die Taliban geben, wenn diese nicht die Menschenrechte respektieren sollten, sagte von der Leyen bezüglich der Entwicklungsgelder in Höhe von einer Milliarde Euro, die für Afghanistan für die nächsten sieben Jahre vorgesehen sind.
Zeitfenster wird kleiner
Das Zeitfenster für weitere Evakuierungen aus Kabul wird immer kleiner. Die USA wollen eigentlich zum 31. August den Abzug ihrer Truppen abschließen. Eine Fortführung des Evakuierungseinsatzes ohne die USA gilt als ausgeschlossen.
Biden will die Taliban unter Druck setzen und Hilfen für Afghanistan während ihrer Herrschaft an „harte Bedingungen“ knüpfen. So werde man genau verfolgen, wie die Islamisten ihre Landsleute und dabei speziell Frauen und Mädchen behandeln, sagte Biden in einer Ansprache. Biden zufolge stehen die USA in Kontakt mit den Taliban, um den Zugang zum Flughafen in Kabul zu gewährleisten. Sollten die Islamisten die Evakuierungsaktionen stören oder US-Truppen angreifen, werde es eine „starke Reaktion“ geben.
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