EU-Steuermann geht von Bord
EU-Steuermann geht von Bord
(dpa) - So hat Jean-Claude Juncker sich das nicht vorgestellt. Dass er, der eingefleischte Europäer, nun die Briten zur Tür geleiten muss. „Als ich zum Präsidenten der Kommission ernannt wurde, (...) wollte ich die europäische Integration zu einem Punkt bringen, von dem keine Rückkehr möglich ist“, hat er neulich erzählt. Stattdessen müsse er nun den „Rückbau“ des Gemeinschaftsprojekts mit organisieren.
Denn als Chef der europäischen Exekutive steht Juncker jener Behörde vor, die die Austrittsgespräche mit Großbritannien federführend leitet. Erst 2019, höchstwahrscheinlich nach Ende der zweijährigen Verhandlungen, endet seine Amtszeit.
Neu in Europa verliebt
Eine weitere will er nicht, wie er nun beiläufig in einem Interview des Deutschlandfunks enthüllt hat. Gründe für seine Entscheidung nennt der 62-jährige Luxemburger zwar nicht. Melancholie ist aber zu spüren, wenn er zurückblickt auf das Jahr 2014, als er mit so viel Verve um die Europawahlen kämpfte. Er habe sich damals „wieder neu in Europa verliebt“, in die Vielfalt des Kontinents.
2017 das entscheidende Jahr für die EU
„Die Europäische Union ist die Lösung für die Krise, nicht die Ursache“, stand damals im Wahlprogramm der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), für die Juncker antrat. Das sehen heute viele anders und darauf gründen Parteien wie Geert Wilders' PVV in den Niederlanden, Marine Le Pens Front National in Frankreich oder die AfD in Deutschland ihren Erfolg. In allen drei Ländern finden 2017 Wahlen statt. Von ihrem Ausgang dürfte abhängen, ob 2017 das Jahr wird, in dem die Europäische Union noch einmal die Kurve gekriegt hat - oder das Jahr, das ihren Anfang vom Ende eingeläutet hat.
Daran leidet Juncker und er zeigt es auch. Anfeindungen der EU nimmt er persönlich und von den Regierungen der EU-Staaten verlangt er mehr Einstehen für Europa. „So kann das nicht weitergehen, dieses ewige Theater, das wir erleben, dass man in Brüssel entscheidet und dass man zu Hause das kritisiert, was man selbst mitentschieden hat“, sagte er dem Deutschlandfunk.
Spitze Zunge
Der langjährige Luxemburger Premier Juncker kann ein brillanter Redner und charmanter Gastgeber sein. Eine spitze Zunge hat er aber auch. US-Präsident Donald Trump solle keine Mitgliedsstaaten indirekt zum Austritt auffordern, verlangte er jüngst. „Wir fordern ja auch Ohio nicht auf, aus den Vereinigten Staaten auszutreten.“
Deserteure nicht mit offenen Armen empfangen
Worauf die Briten sich bei den Austrittsgesprächen einzustellen haben, wenn es nach ihm geht, hat er ebenfalls sehr deutlich gemacht: „Deserteure werden nicht mit offenen Armen empfangen“, sagte er schon vor der Brexit-Abstimmung im vergangenen Sommer. Er befürchtet aber auch, dass die übrigen EU-Staaten nicht zusammenhalten.
Juncker, ein Macher
Doch eigentlich ist Juncker gar kein Typ für die Defensive, sondern ein Macher. Was zu machen wäre zur Rettung Europas, ist gerade schwer zu beantworten. Mehr Zurückhaltung bei ungeliebter Regulierung hat er sich als Kommissionschef auf die Fahnen geschrieben und das hält er ein. Aber eine positive Vision für Europa ist das noch nicht.
Juncker hat durchaus Visionen zur Umgestaltung Europas, vielleicht in verschiedene „Orbits“, bei denen die Staaten je nach Belieben enger oder weniger eng zusammenarbeiten können. Doch für die nahe Zukunft lehnt er grundlegende Strukturreformen ab - zu riskant, das alles.
Ideenpapier für den 60 Jahre Römische Verträge
Erstmal soll die EU noch besser liefern für ihre Bürger: Grenzen sichern, Terror bekämpfen, dafür sorgen, dass mehr in Verteidigung investiert wird, jungen Menschen Chancen bieten. Wie das gehen soll, sollen Junckers Leute in einem Ideenpapier für den EU-Gipfel in Rom am 25. März erklären, wo das 60-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge begangen werden soll. Da solle vor allem gefeiert werden, sagt Juncker. „Wir sind ja eigentlich nie stolz genug auf Europa.“
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