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Erdogan kündigt "Beratungen" über Todesstrafe an
International 3 Min. 17.07.2016 Aus unserem online-Archiv
Nach dem Putschversuch in der Türkei

Erdogan kündigt "Beratungen" über Todesstrafe an

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan während einer Beerdigung eines der Opfer des gescheiterten Staatsstreichs.
Nach dem Putschversuch in der Türkei

Erdogan kündigt "Beratungen" über Todesstrafe an

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan während einer Beerdigung eines der Opfer des gescheiterten Staatsstreichs.
Foto: AFP
International 3 Min. 17.07.2016 Aus unserem online-Archiv
Nach dem Putschversuch in der Türkei

Erdogan kündigt "Beratungen" über Todesstrafe an

Michèle GANTENBEIN
Michèle GANTENBEIN
Während die Bevölkerung in der Türkei das Scheitern der Putschisten feiert, geht der Staatsapparat rigide gegen Soldaten und Richter vor. Präsident Erdogan spricht nach dem Umsturzversuch auch die Todesstrafe an.

(dpa) - Nach dem gescheiterten Putschversuch hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Beratungen mit der Opposition über eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe angekündigt. Diese sollten bald erfolgen, sagte Erdogan am Sonntag vor Anhängern im Istanbuler Stadtteil Üsküdar.

Schon bei vorherigen Reden hatte Erdogan angekündigt, dass sich das Parlament mit dem Thema beschäftigen werde und gesagt: „In Demokratien kann man die Forderung des Volkes nicht ignorieren.“ Die Todesstrafe ist in der Türkei seit 1984 nicht mehr vollstreckt und 2004 abgeschafft worden.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und die Regierung greift indes mit aller Härte bei Militär und Justiz durch. Die Zahl der Festnahmen erhöhte sich nach Regierungsangaben vom Sonntag auf rund 6.000 und werde sich noch erhöhen, wie Justizminister Bekir Bozdag sagte. Erdogan beruft sich für seinen scharfen Kurs auf große Unterstützung in der Bevölkerung: Nach dem Umsturzversuch gingen am Samstag und Sonntag nach Schätzung aus Regierungskreisen insgesamt rund vier Millionen Menschen in der Türkei aus Protest gegen die Putschisten auf die Straßen.

Die türkische Bevölkerung demonstrierte am Samstag gegen die Putschisten und deren Versuch, die Macht an sich zu reißen.
Die türkische Bevölkerung demonstrierte am Samstag gegen die Putschisten und deren Versuch, die Macht an sich zu reißen.
Foto: AFP

Am Samstag hatte Ministerpräsident Binali Yildirim gesagt, rund 3.000 verdächtige Soldaten seien im Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Nacht zuvor festgenommen worden, darunter mehrere Generäle, außerdem Richter und Staatsanwälte. Sie würden verdächtigt, an dem Umsturzversuch beteiligt gewesen zu sein. Unklar blieb auch am Sonntag zunächst, wie viele Festgenommene aus den Streitkräften stammten und bei wie vielen es sich um Zivilisten handelte.

Bei dem Umsturzversuch wurden nach offiziellen Angaben mindestens 265 Menschen - 161 regierungstreue Sicherheitskräfte oder Zivilisten und 104 Putschisten - getötet, mehr als 1.000 wurden verletzt. Die Putschisten wollten nach eigenen Angaben Demokratie und Menschenrechte sowie die verfassungsmäßige Ordnung in einer zunehmend autoritär regierten Türkei wiederherstellen. Örtlichen Medien zufolge sind 140 Richter und Staatsanwälte zur Fahndung ausgeschrieben - sie würden unter anderem der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation beschuldigt.

Großdemonstration in Istanbul

Zehntausende Menschen feierten bis zum frühen Sonntagmorgen das Scheitern der Umstürzler und hielten eine „Wache für die Demokratie“. Die Bürger folgten einem Aufruf der Regierung, öffentliche Plätze nicht möglichen weiteren Putschisten zu überlassen. Auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul versammelten sich Tausende Erdogan-Anhänger. Auf den Straßen der Stadt fuhren hupende Auto- und Motorradkorsos. Auch in Deutschland zogen Erdogan-Anhänger auf die Straßen - allein in Nordrhein-Westfalen waren es am Wochenende nach Polizeiangaben mehr als 10.000.

Erdogan macht die Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und kündigte Vergeltung an: „Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen.“ Über die Einführung der Todesstrafe könne im Parlament gesprochen werden. „Es ist auch nicht nötig, sich dafür von irgendwoher eine Erlaubnis einzuholen.“

Erdogan verlangt Auslieferung Gülens

Derweil wies US-Außenminister John Kerry Behauptungen zu einer Putsch-Verwicklung im Zusammenhang mit dem Prediger als „völlig falsch und schädlich für unsere bilateralen Beziehungen“ zurück. Gülen, nach einem schweren Zerwürfnis 2013 einer von Erdogans Erzfeinden, bestritt die Vorwürfe und verurteilte die Putsch-Aktionen in einer Mitteilung scharf. Erdogan verlangt von den USA die Auslieferung Gülens: Wenn die USA und die Türkei tatsächlich strategische Partner seien, dann müsse Präsident Barack Obama handeln. Die USA prüfen Außenminister John Kerry zufolge einen entsprechenden türkischen Antrag.

Beweise für eine Beteiligung Gülens an dem Putsch legte die türkische Regierung bislang nicht vor, ein klarer Anführer der Putschisten aus den Reihen des Militärs wurde bis Sonntag nicht benannt. Allerdings wurden mehrere Generäle festgenommen, darunter Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk, der bislang dem Obersten Militärrat angehörte und nun aus Regierungskreisen als einer der mutmaßlichen Drahtzieher des Umsturzversuchs bezeichnet wird. Am Samstag waren nach Angaben aus Regierungskreisen bereits zwei Mitglieder des Verfassungsgerichts in Ankara festgenommen worden.

Insgesamt 2.700 Richter wurden bisher abgesetzt - fast ein Fünftel der schätzungsweise rund 15.000 Richter in der Türkei. Unter den Festgenommenen sollen neben Putsch-Unterstützern auch unbeteiligte Kritiker Erdogans sein.

Der russische Präsident Wladimir Putin nannte den Putschversuch bei einem Telefonat mit seinem Kollegen Erdogan am Sonntag unzulässig und verfassungswidrig. Putin habe Erdogan sein Beileid für die Opfer übermittelt, hieß es. Das Telefonat gilt als ein weiterer Schritt hin zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Moskau und Ankara. Das Verhältnis hatte sich nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im November 2015 im syrischen Grenzgebiet durch die Türkei massiv verschlechtert. Zuletzt gab es aber eine Wiederannäherung.

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