Dresden - Geschundene Schöne und strahlendes Opfer
Dresden - Geschundene Schöne und strahlendes Opfer
(dpa) - In Dresden ist vieles besonders. Und darauf sind die Dresdner stolz. Der Canaletto-Blick ist ihnen in die Netzhaut gebrannt, so scheint es. Alles hier ist berühmt, weltberühmt, sagen sie. Augustusbrücke, Italienisches Dörfchen, Hofkirche, Brühlsche Terrasse, die Frauenkirche.
Canaletto, der bürgerlich Bernado Bellotto hieß, hat die Silhouette vor knapp 270 Jahren in Öl auf Leinwand gebannt. Noch heute zu bestaunen in der Gemäldegalerie Alte Meister im Semperbau des Dresdner Zwingers - auch alles weltberühmt, genau wie die Pegida-Märsche, deren Bilder aus der Stadt in den letzten Wochen um den Globus gingen.
Friedrich August I. von Sachsen machte sein Dresden im ausgehenden 17. Jahrhundert zum Elbflorenz. Ausgerechnet diese Stadt bildet die Kulisse für den rückwärtsgewandten und Fremdenangst befördernden Protest der selbst ernannten Patrioten, die sich vor einer angeblichen Islamisierung des Abendlandes fürchten.
Dabei war der Kurfürst, auch August der Starke genannt, gerade vom Orient fasziniert und dem Fremden alles andere als abgeneigt. Soziologie-Professor Karl-Siegbert Rehberg macht bei den Dresdnern von heute „eine Art Vergangenheitsverhangenheit“ aus, in der sich die sächsische Landeshauptstadt deutlich etwa von Leipzig unterscheide. Schon im 19. Jahrhundert sei das „Hofschranzenvolk“ in der Residenzstadt sprichwörtlich gewesen, sagt er. „Diese Selbstbezogenheit der Dresdner, dass sie sich irgendwie auch genug sind, ist schon auch ein Aspekt.“
13. Februar 1945: Erste Angriffswelle alliierter Bomber
Ein Grund für diese Haltung liegt in der jüngeren Geschichte der Stadt. „Die wahre Dresdenliebe kommt aus dem Dresdenverlust“, schreibt der Lyriker Thomas Rosenlöcher, selbst Dresdner. Und dieser Verlust traf die Stadt vor 70 Jahren, als am Abend des 13. Februar 1945 die erste Angriffswelle alliierter Bomber Dresden erreichte, das bis dato von schweren Luftangriffen weitgehend verschont geblieben und zum Ende des Krieges voller Flüchtlinge war.
Bis zum 15. Februar wurde das Zentrum mit all seiner barocken Pracht dem Erdboden gleichgemacht. Etwa 25 000 Menschen kamen im Bombenhagel um, sagen Historiker heute. Wie viele genau, lässt sich nicht mehr klären - schon aufgrund der vielen nicht registrierten Flüchtlinge.
Mit der Opferzahl wurde seither immer Politik gemacht. Schon die Nazis setzten die Zahl mit Hunderttausenden so hoch an, dass sie - die mit der industriellen Vernichtung von Menschen dem Verbrechen selbst eine neue Dimension gegeben hatten - dem Kriegsgegner Gräuel vorwerfen konnten. In der NS-Presse war schon kurz nach dem Bombardement von gezieltem Massenmord und der Vernichtung einer abendländischen Kulturhauptstadt die Rede.
In der DDR war es das Gedenken an das Leid, das der imperialistische Klassenfeind über Dresden gebracht hat, als er die „unschuldige Stadt“ in Grund und Boden bombte. Dass Dresden nicht nur Nazi-Hochburg, sondern auch Verkehrsknoten war und im Februar 1945 noch über kriegswichtige Industrie verfügte, wurde dabei lange gern vergessen. Erst 1985 war es Staats- und Parteichef Erich Honecker, der bei der Einweihung der wiederaufgebauten Semperoper sagte, dass der Krieg, der von Deutschland ausging, am Ende auch nach Dresden zurückgekehrt sei.
Nach der Wende kehrten auch die Nazis zurück
Nach der Wende kehrten auch die Nazis zurück zum 13. Februar. Alte und Neue liefen von der Weltöffentlichkeit ungläubig bestaunt zu Tausenden mit Fackeln und Fahnen durch die historische Altstadt, um der „Hunderttausenden Opfer des Kriegsverbrechens“ zu gedenken. Es brauchte Jahre, bis sich ein breiter bürgerlicher Protest gegen diesen ideologischen Missbrauch des Leids und der Zerstörung zusammenfand.
In der Arbeitsgemeinschaft 13. Februar versuchten Vertreter von Parteien, Glaubensgemeinschaften, Verbänden, Initiativen, aus Kultur und Wissenschaft, gemeinsam ein Konzept für eine Gedenk- und Erinnerungskultur zu entwickeln. „Das war ein Kraftakt für die ganze Stadt und ich bin dankbar, dass ich mit dazu beitragen konnte, dass wir gemeinsam diese Lösung gefunden haben, die bis heute trägt“, sagt Helma Orosz. Die scheidende Dresdner Oberbürgermeisterin hatte die Arbeitsgemeinschaft nach ihrem Amtsantritt 2008 eingesetzt.
Vor fünf Jahren rief Orosz erstmals zu einer Menschenkette auf, um ein friedliches Zeichen aller demokratischen Kräfte gegen die Vereinnahmung des 13. Februars durch Neonazis zu setzen. Seither beteiligen sich jedes Jahr weit mehr als 10 000 Menschen daran. In diesem Jahr wird auch Joachim Gauck dabei sein. Der Bundespräsident will außerdem in der Frauenkirche sprechen. „Wenn wir gesellschaftliche Brücken bauen wollen, sind wortgewaltige Bauleute wie der Bundespräsident stets willkommen“, sagt Frauenkirchen-Pfarrer Sebastian Feydt.
Frauenkirche: Symbol für Frieden und Versöhnung
Das im Krieg zerstörte Gotteshaus im Herzen der Stadt war als Ruine zu DDR-Zeiten Mahnmal. Nach der Wende wurde die mit Spenden aus aller Welt wiederaufgebaute Frauenkirche zum Symbol für Frieden und Versöhnung. In den vergangenen Wochen nutzten sowohl die Islamkritiker von Pegida als auch deren Gegner die weltberühmte Kulisse für ihre Kundgebungen. Zuletzt versammelten die Verfechter eines offenen Dresdens zusammen mit Künstlern wie Herbert Grönemeyer Zehntausende Menschen auf dem Neumarkt.
Dass das im alten Glanz wiederaufgebaute Dresden eine gute Bühne für rechte Proteste bildet, hätten schon die Neonaziaufmärsche gezeigt, meint Soziologe Rehberg. Die Stadt sei auch für die Rechten zum Symbol geworden. „Für eine Art von Protest, der unangenehm ist, der die eingespielten Regeln des demokratischen, vielleicht auch etwas langweiligen, sich angenähert habenden Diskurses sprengt, der für Aufregung sorgt.“
Lange Tradition der Eigenbeschreibung als Opfer
„Einen gewissen Resonanzraum für die Artikulation der tief empfunden Ressentiments“, sieht auch der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden. Für ihn hat „Dresden eine lange Tradition der Eigenbeschreibung als Opfer“.
Der als Pegida-Kenner bundesweit bekannte Dresdner Politologe Werner J. Patzelt sieht ganz pragmatische Gründe dafür, dass dieses Bündnis der Unzufriedenen und Empörten gerade in dieser Stadt so groß werden konnte. „Weil es in Dresden Gewohnheit ist, sich selbst so wichtig zu nehmen und eben auch - weil die Stadt so schön und bedeutend ist - so wichtig genommen zu werden“, sagt er. Innerstädtische Dispute würden da „mindestens über die nationale Presse, idealerweise über die internationale Presse“ ausgetragen. „Und das verleiht Dresdner Lokalpossen eine weltpolitische Bedeutung, die dem, worum es real geht, ganz und gar unangemessen ist.“
Oberbürgermeisterin Orosz (61), die ihr Amt Ende des Monats aus gesundheitlichen Gründen abgibt, stellt einen „deutlichen Imageverlust“ ihrer Stadt durch Pegida fest. Für sie sind die Medien am Phänomen „Pegida“ ebenfalls nicht ganz unschuldig. „Ich glaube, dass da einiges auch medial aufgewertet und größer gemacht wurde als es wirklich gewesen ist.“ Jetzt soll die stadteigene Marketinggesellschaft das schiefe Bild von Dresden wieder geraderücken. Orosz hofft wie so viele andere Dresdner auch, dass sich das Problem Pegida mit der Spaltung von selbst erledigt hat.
Wieder schöne heile Welt in der einst so zerstörten und zuletzt gespaltenen Stadt? Erich Kästner, auch ein berühmter Sohn Dresdens, beschrieb es schon vor dem Krieg mit Blick auf die Dauerkonkurrenz in Sachsen einmal so: „Leipzig ist das Heute. Und Dresden - das Gestern ... Leipzig ist die Wirklichkeit. Und Dresden - das Märchen.“
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