Dramatische Rettung von Flüchtlings-Baby vor Ceuta
Dramatische Rettung von Flüchtlings-Baby vor Ceuta
(dpa/SC) - Bei der dramatischen Flüchtlingskrise in Ceuta, bei der 8000 Menschen von Marokko aus schwimmend die spanische Nordafrika-Exklave erreicht hatten, hat eine Szene besonders großes Aufsehen erregt: Ein Foto zeigt, wie ein Beamter der spanischen Polizeieinheit Guardia Civil (Zivilgarde) ein wenige Monate altes Baby im Mittelmeer mit einem Rettungsring birgt. Unter einer blauen Mütze ist das blasse Gesicht des Kindes erkennbar. Während sich der Taucher auf einen Rettungsring stützt, prasselt der Regen von oben auf sie ein.
Der 41-jährige Taucher Juan Francisco Valle, der das Baby vergangene Woche aus dem Meer rettete, avancierte in Spanien schnell zum viel gefeierten Helden - und viel gefragten Interviewpartner.
Ganz ehrlich, ich wusste nicht, ob es noch am Leben oder schon tot war.
Juan Francisco Valle
Das Baby sei am Dienstag von der im Wasser treibenden Mutter auf dem Rücken getragen worden, erzählte der Polizist dem Radiosender Cope am Mittwoch. „Wir haben uns das Baby geschnappt, es war eiskalt, völlig blass, es hat sich überhaupt nicht bewegt ...“, sagte er. „Ganz ehrlich, ich wusste nicht, ob es noch am Leben oder schon tot war.“
Der erfahrene Beamte räumte ein, der Einsatz sei „schon ein bisschen traumatisch“ gewesen. Oft habe man nicht erkennen können, was die schwimmenden Flüchtlinge auf dem Rücken getragen hätten - „ob Rucksäcke oder Kleidung, oder vielleicht kleine Babys“.
Im Interview mit der spanischen Zeitung „El País“ erklärte Valle, der seit 12 Jahren für die nautische Sondereinheit der Guardia Civil im Einsatz ist, eine solche „Flut von Hunderten verzweifelten Menschen“ habe er noch nicht erlebt. Ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen sei, wisse er nicht. Laut „El País“ sei es jetzt allerdings in Sicherheit.
Nach zwei chaotischen Tagen mit der Ankunft von mehr als 8.000 Flüchtlinge innerhalb von nur 36 Stunden am Montag und Dienstag hatte sich die Lage in Ceuta am Mittwoch deutlich beruhigt. Die Zahl der schnell wieder nach Marokko abgeschobenen Menschen belief sich zuletzt auf circa 5.600, wie die Regierung in Madrid mitteilte.
Nach der gefährlichen Reise folgt die Massenabschiebung
Nach der Ankunft der mehr als 8.000 Flüchtlinge innerhalb von nur 36 Stunden fackelte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez nicht lange. Er entsandte am Dienstag das Militär in die spanische Nordafrika-Exklave, flog selber hin und ordnete Massenabschiebungen an. Bis Mittwochnachmittag waren bereits 5.600 durch eine kleine Tür am Grenzzaun wieder nach Marokko zurückgeschickt worden. Flüchtlinge, die sich verzweifelt und weinend an Soldaten-Beine klammerten, wurden vor laufenden Kameras auch mit einiger Gewalt weggetragen.
„Sánchez legt bei der Verteidigung der territorialen Integrität Spaniens Entschlossenheit an den Tag“, titelte die liberale Zeitung „La Vanguardia“ am Mittwoch anerkennend. Auch die Bundesregierung begrüßte „die bereits eingeleiteten Maßnahmen der spanischen Regierung“ - in einer für Madrid aktuell schwierigen Situation, wie die stellvertretende Sprecherin Martina Fietz in Berlin betonte.
Viel Lob heimste der spanische Regierungschef ansonsten aber nicht ein. Es gab Kritik aus (fast) allen Ecken. Menschenrechtsgruppen wiesen die Express-Abschiebungen als illegal zurück. Die Opposition warf dem Sozialisten „Schwäche“ vor. Die rechtspopulistische Partei Vox meinte, Sánchez habe eine „Invasion“ und „einen Angriff auf Spanien“ zugelassen. Bei seiner Ankunft in Ceuta war Sánchez am Dienstagabend von etwa 50 Demonstranten heftigst beschimpft worden, sein Fahrzeug bekam sogar einige Tritte und Schläge ab.
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Oppositionsführer Pablo Casado sagte am Mittwoch im Madrider Parlament, die Krise sei eine Folge „des Regierungschaos“, Sánchez sei als Ministerpräsident ungeeignet. Sánchez warf der Opposition am Mittwoch vor, die Krise zu missbrauchen, um die Regierung zu stürzen. Ceutas Bürgermeister Juan Vivas, ein Parteifreund Casados, rechtfertigte die Protestaktion seiner Wähler. Viele hätten sich am Dienstag „aus lauter Angst“ zu Hause eingeschlossen, der Unterricht sei für die meisten Kinder ausgefallen. „Das ist keine Migrations-Krise, das ist eine Invasion. Unsere Straßen waren von den Eindringlingen beherrscht.“
Illegale Massenabschiebung?
Sind die Massenrückführungen ohne vorherige Prüfung des Anrechts auf Asyl aber rechtmäßig? Das ist nicht ganz klar. Zwar gibt es seit 1992 ein bilaterales Abkommen mit Marokko, das solche Schnellabschiebungen von illegalen Einwanderern grundsätzlich ermöglicht. Diese müssen aber eigentlich direkt an der Grenze erfolgen, und nicht erst, wenn Flüchtlinge schon länger auf spanischem Boden sind. Hier gibt es Interpretationsspielraum.
Zudem gibt es Gesetze, eine Entscheidung des Verfassungsgerichts in Madrid sowie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das im Februar 2020 eine Klage zweier im Jahr 2014 schnell abgeschobener Flüchtlinge gegen Spanien zurückwies, auf die sich Madrid beruft. Von den Abschiebungen am Dienstag und Mittwoch waren aber auch Flüchtlinge betroffen, die ganz offensichtlich minderjährig waren und für die diese Gesetze und Urteile alle nicht greifen. Diese seien freiwillig zurückgekehrt, beteuert Madrid.
Um die vielen Hundert noch in Ceuta verbliebenen unbegleiteten Kinder und Jugendlichen würden sich die spanischen Sozialdienste kümmern. „Einige sind nur sieben bis neun Jahre alt. Viele wollen zurück, weil sie keine Ahnung hatten, welche Folgen eine Grenzüberquerung hat“, sagte Sozialministerin Ione Belarra. Diese Rückführungen werde man mit größter Behutsamkeit in die Wege leiten. Belarra rief die verschiedenen Regionen Spaniens dazu auf, Bereitschaft zur Aufnahme der Minderjährigen zu signalisieren.
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