Die weltweite Diskussion um Kolonialgeschichte: Ein Überblick
Die weltweite Diskussion um Kolonialgeschichte: Ein Überblick
(dpa) - Statuen von Persönlichkeiten der Kolonialgeschichte haben schon vor dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd in der Kritik gestanden. Der Protest hat nun aber in vielen Ländern eine neue Dynamik bekommen.
Belgien
Aus Protest gegen die von ihm verantwortete Schreckensherrschaft im Kongo sind an mehreren Orten Belgiens Statuen von König Leopold II (1835-1909) mit Farbe übergossen oder umgestoßen worden. Auch Straßenschilder mit seinem Namen wurden übermalt. Zehntausende haben Online-Petitionen mit der Forderung unterschrieben, die Statuen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Einige sind bereits abgebaut.
Unter Leopold II wurde der Kongo systematisch ausgeplündert, Millionen Menschen dort kamen ums Leben. Das zentralafrikanische Land gehörte noch bis 1960 zum belgischen Kolonialreich.
Laut Esther Kouablan vom rassismuskritischen Verband mrax haben sich die Aktionen seit dem Tod Floyds gehäuft, es gab sie aber schon lange vorher. „Für die afrobelgische Community sind die Statuen in der Öffentlichkeit wie psychologische Gewalt, weil sie die Verbrechen banalisieren.“
Niederlande
Auch hier werden die Forderungen immer lauter, die eigene Geschichte kritischer zu bewerten: Das 17. Jahrhundert war nicht nur das Goldene Zeitalter mit Reichtum und Rembrandt, sondern auch ein blutiges mit Kolonialismus und Sklaverei.
Im Zentrum der Kritik stehen die einstigen Repräsentanten der Handels- und Seemacht: Piet Hein, Witte de With und Jan Pieterszoon Coen. An sie erinnern Statuen, Gebäude, Straßen und Tunnel. Eine Statue und ein Gebäude sind bereits rot beschmiert worden.
Ur-Symbol des Kulturkampfes ist in den Niederlanden seit Jahren der schwarze Helfer des Nikolaus, der Zwarte Piet. Jedes Jahr erfreut die schwarz angemalte Figur zwar Kinder, doch sie sorgt auch für heftige Proteste. Mehrere Städte haben angekündigt, die Figur nicht mehr bei Nikolausumzügen zuzulassen.
Spanien
Hier ist es nur eine kleine Minderheit, die seit jeher die spanische Kolonialisierung der „Neuen Welt“ kritisiert. Eine größere Diskussion darüber gibt es in dem Land nicht. Daran haben auch die jüngsten weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus vorerst nichts geändert. Wenn linke Politiker und Organisationen etwa Umbenennungen von Straßen und Plätzen fordern, stehen vor allem Protagonisten der Franco-Diktatur am Pranger.
Als die mexikanische Regierung Spanien vor gut einem Jahr darum bat, sich für die Eroberung und Unterwerfung indigener Völker im 16. Jahrhundert zu entschuldigen, lehnte die sozialistische Regierung in Madrid ab. Die Ankunft der Spanier in Amerika vor 500 Jahren könne aus zeitgenössischer Sicht nicht beurteilt werden, hieß es.
Portugal
In dem Land, das einst zahlreiche Kolonien in Amerika, Afrika und Asien hatte, gelten die Seefahrer um Pedro Alvares Cabral, Ferdinand Magellan und Vasco da Gama für die meisten noch als Helden. Allerdings wurde kürzlich in Lissabon die Statue des katholischen Theologen und Missionars António Vieira mit roter Farbe beschmiert. Am Sockel stand groß „Entkolonisierung“.
Deutschland
Der bekannteste Fall eines "postkolonialen" Statuensturzes in Deutschland liegt bereits einige Jahrzehnte zurück: Am 31. Oktober 1968 wurde das Denkmal von Hermann von Wissmann, Gouverneur der Kolonie "Deutsch-Ostafrika" (dem heutigen Gebiet von Tansania, Burundi und Ruanda), vor der Universität Hamburg von Studenten umgestoßen und daraufhin nicht wieder aufgestellt. Heute ist es im Deutschen Historischen Museum ausgestellt - auf dem Boden liegend und immer noch mit Farbe beschmiert. Der Vorfall gilt als ein Schlüsselmoment der deutschen 68er-Bewegung und als ein Auslöser einer kritischen Auseinandersetzung Deutschlands mit seiner Kolonialgeschichte.
Großbritannien
Die Bilder, wie die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol kürzlich von Demonstranten vom Sockel gerissen und ins Hafenbecken geworfen wurde, gingen um die Welt.
Seitdem sind Dutzende Skulpturen ins Visier der Anti-Rassismus-Bewegung geraten. Darunter die von Nationalhelden wie dem legendären Premierminister Winston Churchill (1874-1965), dem rassistische Ansichten und eine rücksichtslose Politik in Indien und Irland vorgeworfen werden. Auch die Statue des Entdeckers James Cook (1728-1779) ist einer interaktiven Karte von Aktivisten im Netz zufolge ein Symbol rassistischer Unterdrückung und Gewalt.
Frankreich
Frankreich steht besonders eine Statue Jean-Baptiste Colberts vor der Nationalversammlung in Paris in der Kritik. Der Finanzminister unter Sonnenkönig Louis XIV. schrieb den „Code Noir“, der den Umgang mit den schwarzen Sklaven in den Kolonien regelte.
Nach Aufrufen, die Statue zu zerstören, wird sie Berichten zufolge nun von der Polizei besonders bewacht. Ähnlich sieht es bei einer Statue des Generals Joseph Gallieni aus. Er regierte Ende des 19. Jahrhunderts in den Kolonien mit harter Hand.
USA
In Richmond, Virginia, der ehemaligen Hauptstadt der Südstaaten während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861 bis 1865), stürzten Demonstranten eine Statue von Jefferson Davis, des ehemaligen Präsidenten der Südstaaten. In Montgomery, Alabama, kippten sie Robert E. Lee vom Sockel, einen von den "Rebellen" gefeierten Bürgerkriegs-General. Auch Standbilder von Christoph Kolumbus, dem "Entdecker Amerikas" wurden beschädigt und demontiert.
Im Zuge der Proteste gegen den gewaltsamen Tod von George Floyd hat die Diskussion um kolonialistische und rassistische Denkmäler zwar an Fahrt aufgenommen, sie wurde jedoch bereits zuvor nicht nur mit Worten geführt:
2018 stürzte "Silent Sam", ein Kriegerdenkmal an der University of North Carolina in Chapel Hill. Und 2017 war der Beschluss der Stadtverwaltung von Charlottesville, Virginia, ein Denkmal von Robert E. Lee abzubauen, Auslöser für gewalttätige Proteste rechtsextremer Gruppen, bei denen eine Gegendemonstantin ermordet wurde. Donald Trump sprach damals von "Hass und Gewalt auf vielen Seiten" und wertete damit vor allem die Gewalt der Rechten auf.
