„Die Russen haben sich nicht gerührt“
„Die Russen haben sich nicht gerührt“
Von LW-Korrespondent Michael Wrase aus Baalbek im Ost-Libanon
Drei Stunden nach der martialischen Fernsehansprache von US-Präsident Donald Trump hatte auch der syrische Machthaber Baschar el Assad seinen Auftritt. Er dauerte genau neun Sekunden: In einem auf Twitter veröffentlichtem Video-Clip sieht man den von Trump als „Monster“ verunglimpften Diktator lässig über den blank gewienerten Marmorboden seines Palastes schlendern. In seiner rechten Hand trägt er eine lederne Aktentasche. „Keine besonderen Vorkommnisse“, lautet die Botschaft, „hier wird alles so weitergehen wie bis bisher“.
Was nicht ganz stimmt. Natürlich wird sich an den Machtverhältnissen in Syrien erst einmal nichts ändern. Baschar al Assad sitzt – dank russischer und iranischer Schützenhilfe – weiterhin fest im Sattel. Auch die bereits am Montag angekündigten amerikanisch-französisch-britischen Angriffe waren keine Überraschung.
Das Regime war sich im Klaren darüber, welche Ziele angegriffen würden. Ob die USA, wie vor einem Jahr, Russland die Angriffsziele im Voraus verraten haben oder nicht, ist Gegenstand heftiger Diskussionen. Fest steht, dass Moskau in etwa wusste, welche Ziele nicht angegriffen würden. Und diese Information reichte aus, um größeren Schaden vom syrischen Verbündeten abzuwenden.
Fast eine Woche Zeit
„Fast eine Woche hatten sie in Damaskus Zeit, um die Forschungszentren in Jamraya und Barzeh leerzuräumen“, weiß Abbas, ein vollbärtiger Libanese, der dort, wie er sagt, „noch viele Freunde hat“. Bei einem Glas Pfefferminztee diskutieren wir mit dem Hisbollah-Veteranen die möglichen Folgen des Angriffs. Dieser habe trotz seiner „äußerst begrenzten Wirkung einen bitteren Nachgeschmack“ hinterlassen. „Warum?“, frage ich den 30jährigen Libanesen. „Die Russen“, antwortet er mit ernster Miene, „haben sich trotz vollmundiger Absichtserklärungen nicht gerührt und den Westmächten in der letzten Nacht das Feld überlassen.“ Ihr Nichtstun werde in Syrien für Verunsicherung sorgen.
Wir trafen Abbas in Baalbek. In der ostlibanesischen Großstadt befinden sich die größten römischen Tempelanlagen der Welt, die an diesem Wochenende von Hunderten von ausländischen Touristen besucht wurden. Dass Syrien nur 13 Kilometer entfernt liegt, schien sie nicht im Geringsten zu stören. Nur die Angehörigen zu Hause seien besorgt, erzählt Natalie, die für eine Genfer Privatbank arbeitet. Eine Gruppe indischer Urlauber schaut dagegen etwas betroffen, als sie erfährt, dass Syrien bereits hinter dem nahen Anti-Libanon-Gebirge, dessen Ausläufer bis nach Baalbek reichen, beginnt. „Das hatten wir nicht geahnt“, gesteht eine Buchhalterin aus Bombay lächelnd.
Keine Sorgen bereitet den Urlaubern die starke Präsenz der Hisbollah in Baalbek. Der pro-iranischen Miliz, erläutert Mussa, ein drahtiger Reiseführer mit Kalaschnikow-Sticker, habe Assad sein Überleben zu verdanken, und zeigt nach Osten. Hunderte seien in Syrien für den Diktator gefallen. Mit ihrem Tod hätten sie auch ein Vordringen des sogenannten „Islamischen Staates“ und der Al Kaida in den Libanon verhindert.
Syrischer Morast
In Baalbek weiß man, dass der Krieg in Syrien noch lange nicht beendet ist. Um in „den syrischen Morast“ nicht hineingezogen zu werden, versucht die Regierung in Beirut eine „Politik der Dissoziation“ zu betreiben. „Was in Syrien passiert, betrifft uns nicht (mehr)“, lautet das Motto des libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Eine Verurteilung der gestrigen Raketenangriffe in Syrien hielt der sunnitische Politiker daher für nicht notwendig. Staatspräsident Michel Aoun, ein maronitischer Christ, verkündete dagegen mit scharfen Worten, dass die „Aggression gegen das arabische Nachbarland“ eine politische Lösung verhindere. Womit er vermutlich nur zum Teil Recht hat.
Denn politische Lösungen waren niemals das Ziel der Kriegsparteien in Syrien. Mit unglaublicher Brutalität und erbarmungsloser Härte hat sich Baschar al Assad an der Macht behauptet. Dass der syrische Diktator auch Chemiewaffen eingesetzt hat, ist erwiesen. Ob er es auch in Duma getan, wollen die Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) noch prüfen. Zwölf Stunden vor dem Beginn der westlichen Luftschläge hatten sie mit ihrer Untersuchung begonnen, die gestern fortgesetzt wurde, als wäre nichts geschehen.
Keine Zurückhaltung
Da die OPCW „keine Informationen über laufende Untersuchungen“ veröffentlichen wollte und auch die Schuldigen nicht beim Namen nennen darf, sah man in Washington, Paris und London keinen Grund zur Zurückhaltung. Um Verunsicherung im fragilen Libanon zu vermeiden, wurden fast alle Marschflugkörper von Kriegsschiffen im Roten Meer abgefeuert. Auch die Luftangriffe wurden von Jordanien aus, also von Süden, vorgetragen.
Dennoch waren die Schockwellen der anderthalbstündigen Angriffe auch in einigen Teilen der an Syrien grenzenden Bekaa-Ebene zu spüren. Nicht in Baalbek. Dort habe es am vorletzten Wochenende, als israelische Kampfflugzeuge über der Großstadt ein Dutzend Marschflugkörper auf eine iranische Militärbasis bei Palmyra abfeuerten, „ganz gewaltig gekracht“, erzählt Abbas. „Vermutlich nicht um letzten Mal“, fügt er nachdenklich hinzu.
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