Die erwartete Katastrophe: Corona erreicht den Jemen
Die erwartete Katastrophe: Corona erreicht den Jemen
Von LW-Korrespondent Michael Wrase (Limassol)
Als ein „Desaster“ hat der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jemen, Altaf Musani, den ersten Corona-Fall in dem von Krieg und Zerstörung geplagten arabischen Land bezeichnet. Bei dem Infizierten soll es sich um einen 74 Jahre alten Fischer in der Küstenstadt al-Shahr handeln. Sie liegt in der an Oman und Saudi-Arabien grenzenden Provinz Hadramaut, die vom Krieg bisher nur wenig betroffen war.
Internationale Hilfsorganisationen hatten immer wieder vor der „erwarteten Katastrophe“ gewarnt. Verhindern konnten sie das Vordringen der Lungenseuche in das bitterarme Land im Süden Arabiens aber nicht. Erst am 25. März hatte UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand aufgefordert, um den Jemen vor den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu schützen.
Kampf gegen Covid 19
12 Tage später verkündete die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition eine 14-tägige Waffenruhe, die am Donnerstag beginnen sollte. „Wir bereiten jetzt den Boden für den Kampf gegen Covid 19 vor“, erklärte der Sprecher der Koalition, Turki al-Malki. Sollten die Houthis positiv auf den Schritt reagieren, könnte die Waffenruhe verlängert werden. Damit könnten die Bedingungen für Gespräche über eine dauerhafte Waffenruhe geschaffen werden, sagte al-Malki.
Sprecher der Houthis bezeichneten das saudische Angebot als „einen Trick“. Der erste Schritt zu einer Waffenruhe müsse die Aufhebung des vor fünf Jahren von Riad über den Jemen verhängten Belagerungszustandes sein, sagte Mohammed al-Bukhaiti vom Politbüro der Houthis dem libanesischen Fernsehsender Al-Mayadeen. Die andauernde Blockade, von der auch alle Flug – und Seehäfen des Landes betroffen sind, sei nichts anders als ein „Akt des Krieges“, betonte er.
Die Angst, das Gesicht zu verlieren
Tatsächlich haben Verhandlungen über eine dauerhafte Waffenruhe zwischen Riad und Sana längst begonnen. Sie wurden aber nicht an die große Glocke gehängt, weil die Beteiligten, unter ihnen der jüngere Bruder des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, befürchten, ihr Gesicht zu verlieren.
Vor allem Riad kann nicht zugeben, dass es sein wichtiges Kriegsziel im Jemen, nämlich die Rückkehr des vor fünf Jahren von den Houthis gestürzten Präsidenten Mansur Hadi nicht erreicht hat und angesichts gefallener Ölpreise nicht mehr über die finanziellen Mittel zur Fortsetzung des Krieges verfügt.
Infrastruktur im Jemen fast vollständig zerstört
Am Wohlergehen der so entsetzlich leidenden Zivilbevölkerung haben beide Seiten kein Interesse. Sonst hätten sie schon längst einer Waffenruhe zugestimmt. Sollte diese in absehbarer Zeit in Kraft treten, wäre es für eine Bekämpfung von Covid 19 vermutlich schon zu spät.
Fünf Jahre Krieg haben die gesundheitliche Infrastruktur im Jemen fast vollständig zerstört. Mehr als die Hälfte der 26 Millionen Jemeniten sind unterernährt, ihr Immunsystem stark geschwächt. Wie groß die Angst vor dem Coronavirus in dem Land ist, zeigt ein Vorfall in al-Mukalla. Im Krankenhaus der Hafenstadt wollte sich am Dienstag ein junger Mann mit Denguefieber behandeln lassen. Aus Angst vor einer Ausbreitung des vermeintlichen Coronavirus wurde er abgewiesen und verstarb kurze Zeit später.
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