Die BBC hat sich im Fall Lineker verkalkuliert
Die BBC hat sich im Fall Lineker verkalkuliert
Von Peter Stäuber (London)
Die Affäre begann mit einem unverdächtigen Tweet und endete mit einem Riesenkrach bei der BBC, einem Streik der Sportmoderatoren, und einer intensiven Debatte über publizistische Unparteilichkeit.
Am Montag letzter Woche hatte sich Gary Lineker – ehemaliger Fußballer, heute der bekannteste BBC-Sportmoderator – über die extreme Asylpolitik der britischen Innenministerin Suella Braverman empört. Diese will mit einer neuen Gesetzesvorlage dafür sorgen, dass alle Flüchtlinge, die über irreguläre Routen ins Land kommen, direkt wieder abgeschoben werden, ohne Recht auf Asyl. „Good heavens, das ist ja furchtbar“, twitterte Lineker. Als sich einer seiner 8,8 Millionen Follower über die Worte beschwerte, bekräftigte der Moderator: Bravermans Vorlage sei „unermesslich grausam“, und ihre Rhetorik erinnere an jene im Deutschland der 1930er-Jahre.
Unangenehme Fragen für BBC
Der Nazi-Vergleich machte bald Schlagzeilen, und die BBC handelte. Lineker habe gegen die Regeln der Unparteilichkeit verstoßen, und man werde ein ernstes Wort mit ihm reden – die Unparteilichkeit ist eines der wichtigsten Prinzipien im britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wenig später wurde Lineker suspendiert; der Moderator ist kein Angestellter der BBC, sondern nur ein freier Mitarbeiter, wenn auch der bestbezahlte. Dann ging es erst richtig los: Die zwei Mitkommentatoren seiner Fußball-Show „Match of the Day“ solidarisierten sich mit Lineker und sagten ihre Teilnahme für die Sendung am Samstag ab. Etliche andere BBC-Sportmoderatoren gaben ebenfalls bekannt, ihre Programme zu boykottieren.
Der Schluss liegt nahe, dass politischer Druck eine Rolle gespielt hat.
Unterdessen wurden Fragen laut. Was war denn so schlimm an Linekers Tweet? Die Rhetorik der Innenministerin ist schon oft in ebenso scharfen Worten kritisiert worden. Auch ist Lineker nicht der einzige BBC-Mitarbeiter, der sich in den sozialen Medien politisch geäußert hat. Andrew Neil beispielsweise, bis zu seinem Abgang 2020 einer der bekanntesten BBC-Moderatoren, machte aus seiner konservativen Haltung nie ein Geheimnis. Oder Alan Sugar, Moderator und „Boss“ in der Reality-TV-Show „The Apprentice“, warb in den Wahlen von 2017 und 2019 explizit für die Tories. Keiner der beiden wurde suspendiert oder von den BBC-Chefs auch nur verwarnt.
Der Schluss liegt nahe, dass politischer Druck eine Rolle gespielt hat. Mit anderen Worten: Die BBC-Chefs hielten Linekers Tweet für problematisch, weil er die Regierung kritisiert hat und die Tories sich beschwerten. BBC-Generaldirektor Tim Davie weist diesen Vorwurf zwar scharf zurück. Aber die überzogene Reaktion zeigt einmal mehr, dass die BBC jedes Mal, wenn die Tories sich zu beschweren beginnen, klein beigibt. Sie scheint in ständiger Angst vor einer Konfrontation mit der Regierung zu leben.
Druck der Regierung auf Berichterstattung
Das hat durchaus Gründe: Die Tories haben der BBC das Budget in den vergangenen zehn Jahren bereits um 30 Prozent gekürzt, immer wieder drohen sie mit weiteren Sparmaßnahmen. Sie haben ideologische Vorbehalte gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und werfen ihm eine linke Schlagseite vor – obwohl unzählige Studien belegen, dass das Unfug ist. Auch die Tatsache, dass Generaldirektor Tim Davie früher mal ein Tory-Gemeinderat war, oder dass der heutige BBC-Vorsitzende Richard Sharp der Tory-Partei mehr als 400.000 Pfund gespendet hat, müsste eigentlich ein Indiz sein, dass die Organisation kaum von linkem Gedankengut durchzogen ist.
Egal, wie schwierig die vergangenen Tage waren, sie sind nichts im Vergleich dazu, die Heimat wegen Verfolgung und Krieg verlassen zu müssen und in einem fernen Land Schutz zu suchen.
Ex-Profi-Fußballer und Sportmoderator Gary Lineker
Dass genau das Gegenteil der Fall ist – nämlich, dass sich die BBC immer wieder dem Druck der Regierung beugt – zeigte eine Recherche des „Guardian“, die wenige Tage nach der Lineker-Affäre publiziert wurde. Interne WhatsApp-Nachrichten und Aussagen von Whistleblower bestätigen, dass Downing Street routinemäßig bei den BBC-Produzenten anrufen, um weniger schädliche Schlagzeilen zu fordern. In einem Fall forderte die Regierung während der Pandemie eine kritischere Berichterstattung über die Vorschläge der Labour-Partei zur Eindämmung der Pandemie. „Können wir diesbezüglich ein bisschen skeptischer sein?“, bat ein Regierungsmitarbeiter einen BBC-Redakteur.
Am Ende merkte die BBC offenbar, dass sie sich im Fall Lineker verkalkuliert hatte. Der Streit wurde am Montag beigelegt, er endete mit einem Rückzieher: Man werde die Richtlinien zur Unparteilichkeit überprüfen, sagte die BBC, und Lineker kann sich wieder der Fußball-Fachsimpelei widmen. Der Moderator zeigte sich zufrieden über die Einigung – und sprach erneut über das Thema, mit dem der Streit begann: „Egal, wie schwierig die vergangenen Tage waren, sie sind nichts im Vergleich dazu, die Heimat wegen Verfolgung und Krieg verlassen zu müssen und in einem fernen Land Schutz zu suchen.“
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