Der Moskauer Patriarch und sein heiliger Krieg
Der Moskauer Patriarch und sein heiliger Krieg
Gott habe seinen Sohn Jesus Christus für die Menschheit geopfert, Opfertum sei also die höchste Form der Menschenliebe, erklärte Patriarch Kyrill I. im September in einer Predigt. Wenn jemand seinem Eid treu bleibe und in Erfüllung seiner Kriegerpflicht getötet werde, opfere er sich auch für andere. Und dieses Opfer wasche alle Sünden rein. „Also geht mit Mut und erfüllt eure soldatische Pflicht.“
Kyrill, 76, Haupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, predigt seit fast einem Jahr über Heldentod und Himmelreich. Als Wladimir Putin am 24. Februar seine „Kriegsspezialoperation“ gegen die Ukraine startete, ließ der Patriarch noch für eine schnelle Wiederherstellung des Friedens beten. Aber danach redete er immer häufiger und eindringlicher davon, ein guter Christ sei auch russischer Patriot. Und Russlands Kirche widerstehe jetzt gemeinsam mit dem russischen Staat den Kräften des Antichrist.
Der Priestersohn aus Leningrad, seit 1969 selbst Geistlicher, seit 2009 Patriarch, kooperierte schon zu Sowjetzeiten mit den Staatsorganen. Wie der Schweizer Tagesanzeiger unlängst berichtete, spionierte Kyrill (bürgerlicher Name Wladimir Gundjajew) in den 1970er Jahren als russisch-orthodoxer Vertreter beim Weltkirchenrat in Genf, sein KGB-Codenamen Michailow war schon in den Neunziger Jahren bekannt geworden.
Im Konflikt mit dem Westen
Auch jetzt, im Konflikt mit dem Westen, lässt Kyrill keinen Zweifel daran, dass er für den Staat arbeitet. „Wir glauben, dass der Herrgott weder die russische Erde noch unseren Staat, den Präsidenten unserer Rechtgläubigkeit oder unsere Kriegerschaft im Stich lässt“, erklärte er Mitte Januar nach einem Gottesdienst in Moskau.
Kyrill wiederholt die Rechtfertigungen des Kremls für den Feldzug gegen die Ukraine. Putin und seine Politiker ereifern sich über den „Satanismus“ des Westens, Kyrill versichert, „alle Kräfte des Antichristen“ würden gegen Russland geworfen. Er trumpft wie Putin mit den „mächtigen Waffen“ des Vaterlandes auf und mit der Unbesiegbarkeit der Russen. Und wie Putin droht er zumindest indirekt mit der atomaren Apokalypse. „Irgendwelche Wahnsinnigen“ glaubten, sie könnten das große Russland schlagen. „Wir beten zum Herrn, dass er diese Wahnsinnigen wieder zu Verstand bringt und ihnen hilft zu begreifen, dass jedes Verlangen, Russland zu vernichten, das Ende der Welt bedeutet.“
Kyrill lässt Panzerkolonnen mit Weihwasser einsegnen, für Wladimir Putins Gesundheit beten und für den Sieg. Einen Moskauer Priester, der in einem Pflichtgebet „Über das heilige Russland“ das Wort „Sieg“ durch „Frieden“ ersetzt hatte, suspendierte er vom Dienst.
Der Patriarch kommandiert seine Kirche wie eine Staatsagentur für rituellen Кriegspatriotismus.
Der Patriarch kommandiert seine Kirche wie eine Staatsagentur für rituellen Кriegspatriotismus. Die Bergpredigt zählt nicht mehr, auch Christi Worte, dass wer zum Schwerte greift, auch durch das Schwert umkomme.
Dschihad in entstellter Form
Russlands Frauen sollten mehr Kinder gebären, dann würden sie weniger Angst und Schmerz verspüren, wenn diese in den Krieg müssten, erklärte ein Militärgeistlicher dem Kirchen-TV-Sender Spass im Oktober, einen Monat später kam er selbst in der Ukraine um. „Wenn ihr euer Leben für Vaterland oder Freunde gebt“, ermuntert Kyrill, „werdet ihr ewig bei Gott in seinem Reich und Glanze sein!“ Und das aserbaidschanische Portal zerkalo.as staunt: „Der Patriarch ruft zum Dschihad (zum heiligen Krieg) in völlig entstellter Form auf.“
Theologen reden schon von einer Mutation der Russischen Orthodoxie. „Viele Predigten Kyrills der vergangenen Monate äußern häretische oder gar nichtchristliche Positionen“, sagte der New Yorker Orthodoxie-Forscher Sergej Tschapnin Radio Swoboda. Aber die Union von Staat und Kirche habe in der Ostkirche Tradition, ihre Würdenträger rechtfertigten seit vielen Jahrhunderten bereitwillig praktisch jede Handlung der Staatsmacht.
Der Patriarch selbst bekräftigte bei einem Treffen mit Putin in Moskau die Einheit von weltlicher und kirchlicher Macht. „Man kann die Geschichte Russlands nicht verstehen, wenn man nicht die Geschichte der Kirche kennt. Denn die Patriarchen haben immer neben dem Zaren gesessen, Zar und Patriarch!“
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