Brexit-Übergangsphase: Johnson droht mit hartem Bruch
Brexit-Übergangsphase: Johnson droht mit hartem Bruch
(dpa) - Nach dem Brexit haben Großbritannien und die Europäische Union am Montag ihre jeweiligen Verhandlungslinien für die künftigen Beziehungen umrissen. Ziel ist ein umfassendes Handels- und Partnerschaftsabkommen bis zum Jahresende, um die negativen Folgen des britischen EU-Austritts für die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Erwartet wird eine schwierige Kompromisssuche, wenn die Verhandlungen in etwa vier Wochen beginnen. Beide Seiten verschärfen im Vorfeld bereits den Ton.
Großbritannien hatte die Europäische Union in der Nacht zum Samstag nach 47 Jahren verlassen. Praktisch hat sich aber noch fast nichts geändert, weil innerhalb einer Übergangsfrist alle EU-Regeln im Vereinigten Königreich weiter gelten. Erst am 31. Dezember ist es damit vorbei.
EU-Mindeststandards: Johnson fährt harte Linie
Der britische Premierminister Boris Johnson will die Beziehung zur EU nach Ablauf der Brexit-Übergangsphase notfalls ohne Freihandelsabkommen ausgestalten. Das sagte Johnson bei einer Rede vor Geschäftsleuten und Botschaftern in London am Montag.
„Wir wollen einen umfassenden Freihandelsvertrag ähnlich zu dem Kanadas“, sagte Johnson in Anspielung auf das Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und Ottawa (Ceta). Großbritannien werde sich bei den anstehenden Gesprächen mit Brüssel aber auf keinen Fall vertraglich auf die Einhaltung von EU-Standards bei Umweltschutz, Arbeitnehmerrechten und staatlichen Wirtschaftshilfen festlegen lassen.
Es gebe für Großbritannien genauso wenig Grund, wegen eines Freihandelsabkommens die Regeln der EU in Kauf zu nehmen wie andersherum, so Johnson. „Großbritannien wird die höchsten Standards in diesen Bereichen beibehalten, besser in vielerlei Hinsicht als die der EU – ohne den Zwang eines Vertrags, und es ist elementar, das jetzt zu betonen“, sagte der britische Premier. Das Wort Brexit vermied er während der Rede vollständig.
In Brüssel wurden indes konziliantere Töne angeschlagen. EU-Unterhändler Michel Barnier zufolge will die EU den Briten ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen vorschlagen – allerdings nannte er Bedingungen. Voraussetzung für einen Deal seien die Einhaltung gleicher Wettbewerbsbedingungen und eine Einigung auf Fischereirechte, sagte Barnier am Montag. Der Zugang für britische Waren und Dienstleistungen zum EU-Binnenmarkt werde davon abhängen, wie eng sich Großbritannien künftig an EU-Regeln und Standards halte.
Unternehmen müssten sich schon jetzt darauf einstellen, dass auch das beste Freihandelsabkommen nicht mit den bisherigen Wirtschaftsbeziehungen im gemeinsamen Markt vergleichbar sei, sagte Barnier weiter. Unter anderem seien Zollformalitäten unvermeidlich. Das seien „die mechanischen Konsequenzen der Bedingungen, die Großbritannien gewählt hat“.
Entscheidend dürfte sein, ob sich beide Seiten im Laufe der Verhandlungen auf einen Mittelweg einigen können. Holger Hestermeyer, der als Associate Professor für internationale Streitschlichtung am King’s College London lehrt, hält gleiche Wettbewerbsbedingungen auch ohne die fortschreitende Anpassung der Briten an EU-Standards für denkbar. Er glaubt, dass ein Kompromiss machbar wäre. „Wenn ich eines gelernt habe durch das Austrittsabkommen, muss ich sagen, man sollte nie die Fähigkeit von Johnson unterschätzen, seine Positionen verkaufen zu können“, so Hestermeyer im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Schwierige Fragen bleiben offen
Neben der Grundsatzfrage, wie eng die Handelsbeziehungen sein können, müssen etliche praktische und politisch heikle Themen geklärt werden. Ein paar Beispiele:
- Fischereirechte gelten als besonders heißes Eisen. EU-Fischer holen derzeit - gemäß EU-Fangquoten - große Mengen Fisch aus britischen Gewässern. Ohne Einigung dürften EU-Kutter nicht mehr in die britischen Fischgründe einfahren und umgekehrt. Die britischen Kollegen wiederum sind bisher auf die EU als Absatzmarkt angewiesen. Das Thema brennt Brüssel so auf den Nägeln, dass es möglichst schon vor dem 1. Juli abgeräumt werden soll.
- Finanzdienstleistungen sind für Großbritannien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor mit rund einer Million Beschäftigten in der Branche, die etwa sieben Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt. 40 Prozent dieser Dienstleistungen gehen in die EU. Das Problem: Nach der Übergangsphase verlieren die britischen Finanzdienstleister sogenannte Passporting-Rechte, mit denen sie ihre Produkte überall in der EU anbieten können. Die EU-Seite sieht dies als Verhandlungsjoker: Die EU sei hier klar im Vorteil, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Wochenende.
- Datenschutzstandards müssen vereinbart werden, um überhaupt noch persönliche Daten zwischen beiden Seiten auszutauschen. Für die Geschäfte von Banken und Versicherungen, aber auch für Universitäten ist das von großer Bedeutung.
- Auch bei der Verbrechensbekämpfung geht es um Datenaustausch. Ohne Einigung verliert Großbritannien mit dem Ende der Übergangsphase den Zugriff auf EU-Datenbanken.
Von der Leyen hat klargestellt, dass sie alle strittigen Fragen im Paket klären will und es kein „Rosinenpicken“ geben soll. Bevor die Verhandlungen starten können, müssen die 27 bleibenden EU-Staaten die gemeinsame Linie billigen. Termin dafür ist der 25. Februar.
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