Boris Johnson kämpft um sein politisches Überleben
Boris Johnson kämpft um sein politisches Überleben
Von Sascha Zastiral (London)
Boris Johnson gibt sich kämpferisch. Großbritanniens wohl umstrittenster ehemaliger Premierminister sitzt mit ernster Miene vor dem Privilegienausschuss des britischen Parlaments. Neben ihm sitzt sein Anwalt. Es geht um Johnsons politisches Überleben.
Der Ausschuss soll klären, ob Johnson die Abgeordneten des Unterhauses wissentlich belogen hat, als er während des Skandals um illegale Partys im Amtssitz des Premiers in der Downing Street wiederholt erklärt hat, dass keine Regeln und Gesetze verletzt worden seien. Der Ex-Premier soll an diesem Mittwochnachmittag zu den Vorwürfen Stellung beziehen.
Sollten die Mitglieder des Ausschusses zu dem Schluss kommen, dass Johnson die Abgeordneten „absichtlich und rücksichtslos“ belogen hat, könnten sie sich für seine Suspendierung aussprechen. Die Abgeordneten würden dann darüber abstimmen. Sollte diese Suspendierung zehn Tage oder länger andauern, könnten die Wählerinnen und Wähler in Johnsons Wahlkreis Uxbridge und South Ruislip seine Abberufung erwirken. Dann käme es zu Nachwahlen, die Johnson verlieren könnte. Seine politische Laufbahn wäre vermutlich vorbei.
Der Ex-Premier legt sich ins Zeug
Entsprechend stark legt sich Johnson ins Zeug. In seiner Eröffnungserklärung sagt Johnson, er habe - „Hand aufs Herz“ - das Unterhaus nicht belogen. Er habe seine damaligen Aussagen „in gutem Glauben und auf der Grundlage dessen gemacht, was ich zu diesem Zeitpunkt ehrlich wusste und glaubte.“
Dann dreht der Ex-Premier den Spieß um. Das Vorgehen des Ausschusses sei „offenkundig unfair“, erklärt Johnson. Denn der habe nur Beweise veröffentlicht, die Johnson in einem negativen Licht erscheinen ließen. Mit ihren Vorwürfen bezichtigten die Mitglieder des Ausschusses zudem auch alle Beamten und Berater der Lüge, die damals ebenfalls angenommen hätten, dass keine Regeln verletzt worden seien. Dann wirft er der Labour-Abgeordneten Harriet Harman, die dem Ausschuss vorsitzt, vor, voreingenommen zu sein.
Johnsons aggressive Äußerungen sind vor allem als Steilvorlagen für seine verbliebenen Unterstützer in seiner Partei und in den rechtslastigen Tageszeitungen zu verstehen sein. Denn die versuchen schon seit Wochen, die Untersuchungen gegen Johnson als angebliche „Hexenjagd“ darzustellen. Die tatsächliche Beweislast gegen Johnson ist jedoch erdrückend.
Johnsons aggressive Äußerungen sind vor allem als Steilvorlagen für seine verbliebenen Unterstützer in seiner Partei zu verstehen.
Im November 2021 berichtete die Tageszeitung Daily Mirror zum ersten Mal über Partys in der Downing Street während der Lockdowns im Jahr zuvor. Johnson, mehrere Minister und auch Johnsons Amtssitz in der Downing Street wiesen die Vorwürfe zurück. Kurz darauf veröffentlichte der Nachrichtensender ITV News geleakte Aufnahmen einer Übungs-Pressekonferenz in der Downing Street aus dem Dezember 2020, in der sich die damalige Pressesprecherin Allegra Stratton und führende Berater Johnsons über mögliche Fragen zu den Lockdown-Partys lustig machten. Die Enthüllung sorgte für einen landesweiten Aufschrei. Stratton trat einen Tag später in Tränen aufgelöst von ihrem Posten zurück.
Gespielte Bestürzung
Johnson gab sich vor dem Parlament über das Video gespielt bestürzt, versicherte aber, ihm sei wiederholt versichert worden, dass es „keine Partys gab“ und dass keine Covid-Regeln verletzt worden seien. An dieser Darstellung hielt er auch dann noch fest, als in den Wochen danach immer mehr Details über weitere Lockdown-Partys in der Downing Street an die Öffentlichkeit kamen. Rücktrittsforderungen wies er auch dann noch zurück, als die Polizei im Mai 2021 wegen der Regelbrüche 126 Bußgelder gegen 83 Teilnehmer verhängte, unter ihnen auch gegen Johnson. Erst nach Bekanntwerden weiterer Skandale und massenhaften Rücktritten seiner Minister gab Johnson im Juli 2022 bekannt, dass er sein Amt niederlegen würde.
Steht Johnsons politisches Ende bevor? Seine Parteikollegen in dem parteiübergreifenden Ausschuss könnten trotz der überwältigenden Beweislast dafür sorgen, dass eventuelle Strafen nicht so hart ausfallen, dass Johnsons Mandat gefährdet wäre. Schließlich würde es ein enorm schlechtes Licht auf die ohnehin schon angeschlagene konservative Partei werfen, wenn einer ihrer ehemaligen Premiers von den Wählerinnen und Wählern in seinem Wahlkreis aus dem Parlament geworfen würde. Der Ausschuss soll seine Entscheidung nach Ostern bekannt geben.
Der amtierende Premier Rishi Sunak dürfte indessen insgeheim darauf hoffen, dass Johnson sein Mandat verliert. Schließlich gibt Johnson seit Wochen immer deutlicher zu verstehen, dass er in seien ehemaligen Posten zurückkehren möchte. Während seiner Aussage verwies Johnson mehrfach darauf, dass auch Sunak wegen seiner Teilnahme an einer regelwidrigen Versammlung in der Downing Street ein Bußgeld erhalten hat.
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