Bericht: Britische Gesetzespläne umgehen EU-Austrittsabkommen
Bericht: Britische Gesetzespläne umgehen EU-Austrittsabkommen
(dpa) - Ein geplantes britisches Gesetz könnte nach einem Bericht der „Financial Times“ den Austrittsvertrag der Europäischen Union mit Großbritannien in Frage stellen. Dabei geht es um die Klauseln, die eine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland vermeiden sollen. Der Bericht löste in Brüssel Sorge aus.
Im Austrittsabkommen hatte Großbritannien akzeptiert, Subventionen für Unternehmen bei der EU anzumelden, sofern sie Geschäfte in Nordirland betreffen. Zudem müssen nordirische Unternehmen Exporterklärungen abgeben, wenn sie Güter aufs britische Festland bringen wollen.
Laut „Financial Times“ würde von der britischen Regierung geplante sogenannte Binnenmarktgesetz sich über diese vertraglichen Zusagen hinwegsetzen und sie teilweise aushebeln. Das Blatt beruft sich auf Personen, die die Pläne schon kennen. Beschlossen werden sollen sie aber erst im Herbst.
Brexit-Befürworter in London stoßen sich seit jeher an Sonderregeln für Nordirland, weil sie eine Abkopplung der Provinz vom übrigen Vereinigten Königreich befürchten. Premierminister Boris Johnson ließ sich im Austrittsvertrag dennoch darauf ein, da sonst Kontrollen an der inneririschen Grenze nötig wären. Das wiederum widerspräche dem Karfreitags-Friedensabkommen für Nordirland.
Die EU-Seite hatte zuletzt ohnehin die schleppende Umsetzung des Austrittsabkommens beklagt. Zu dem Bericht in der „FT“ erklärte ein EU-Diplomat am Montag: „Pacta sunt servanda - Verträge müssen eingehalten werden - das ist ein fundamentales Prinzip des internationalen Rechts.“ Und er warnte: „Wer würde noch Handelsabkommen mit einem Land abschließen wollen, das internationale Verträge nicht umsetzt?“
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Großbritannien zur Einhaltung des Brexit-Austrittsvertrages aufgefordert. Das sei eine Verpflichtung nach internationalem Recht und Voraussetzung für die künftige Partnerschaft Großbritanniens mit der EU, schrieb von der Leyen am Montag auf Twitter.
Großbritannien ist im Januar aus der EU ausgetreten. In einer Übergangszeit bis Jahresende gelten aber noch alle EU-Regeln. Beide Seiten verhandeln ab Dienstag wieder über ein Anschlussabkommen. Eine Einigung ist nicht in Sicht, und der Ton wird schärfer.
Premier Johnson setzt Deadline
Kurz vor der nächsten Gesprächsrunde über ein Brexit-Anschlussabkommen hat der britische Premier Boris Johnson von der EU mehr Tempo und Entgegenkommen gefordert. Man müsse sich bis Mitte Oktober einigen, damit ein solcher Deal noch ratifiziert werden könne. Ansonsten werde es kein freies Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union geben, teilte Johnson am Sonntagabend in London mit. Zugleich betonte Johnson, dass auch künftige Beziehungen ohne Vertrag „ein gutes Ergebnis für das Vereinigte Königreich“ wären. London setze dann auf eine Vereinbarung mit der EU nach australischem Vorbild.
Die EU hat mit dem fünften Kontinent bisher nur ein Rahmenabkommen, das unter anderem technische Hürden betrifft. Im Großen und Ganzen findet der Handel zwischen Europa und Australien auf Grundlage der Welthandelsorganisation WTO statt. Auf Großbritannien übertragen wäre das dann der gefürchtete No Deal.
Noch schärfer im Ton war am Sonntag der britische Chef-Unterhändler David Frost: Er sei sich völlig einig mit Johnson, dass Großbritannien von einem No-Deal-Brexit nichts zu befürchten habe, sagte er der „Mail on Sunday“. „Ich glaube nicht, dass uns das in irgendeiner Weise Angst einjagt“, sagte Frost in einem Interview. Am Dienstag wird EU-Unterhändler Michel Barnier in London erwartet.
Großbritannien war Ende Januar aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsphase bis zum Jahresende gehört das Land aber noch zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion, sodass sich im Alltag fast noch nichts geändert hat. Gelingt kein Vertrag über die künftigen Beziehungen, könnte es Anfang 2021 zum harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen kommen.
Die Europäische Union sieht die Aussichten auf ein Handelsabkommen mit Großbritannien nach der Brexit-Übergangsfrist ab 1. Januar zunehmend düster. „Es hat in den Verhandlungen bisher absolut keine Bewegung der britischen Seite gegeben“, sagte ein EU-Diplomat am Montag in Brüssel. „Wenn sich dies nicht schnell ändert, werden wir auf dem Weg zu einem No-Deal sein, mit allen negativen Konsequenzen.“
Die EU warnt vor gravierenden wirtschaftlichen Folgen, falls kein Handelsabkommen gelingt. Wenn die britische Regierung sich unbedingt über den Rand der Klippe stürzen wolle, könne die EU das nicht verhindern, sagte der EU-Diplomat. Sollte sie dagegen zu einer pragmatischen und realistischen Linie zurückkehren, gebe es durchaus noch Chancen auf eine Einigung im Oktober.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
