Ballon-Affäre weitet sich aus
Ballon-Affäre weitet sich aus
Von Thomas Spang (Washington)
Während die Bergungsarbeiten des abgeschossenen Überwachungsballons wegen des aufgewühlten Meers vor der Küste South Carolinas nur langsam vorankommen, hat die interne Aufarbeitung Erkenntnisse zutage gefördert, die aufhorchen lassen. Am Vorabend der Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation informierte der für die Verteidigung des Luftraums über den USA zuständige NORAD-Befehlshaber, General Glen VanHerck, die Öffentlichkeit über frühere Sichtungen chinesischer Spionageballons.
„Als NORAD-Kommandeur gehört es zu meiner Verantwortlichkeit, Bedrohungen in Nordamerika zu entdecken“, sagte VanHerck im Pentagon. In den vergangenen Jahren seien mehrfach Spionageballons in den Luftraum eingedrungen. Dreimal in der Amtszeit Donald Trumps und zuletzt im Februar 2022 während der Präsidentschaft Joe Bidens. „Ich muss Ihnen sagen, dass wir diese Bedrohungen damals nicht entdeckt haben“, räumte der General peinlich berührt vor den Reportern ein. „Das ist eine Aufklärungslücke daheim, die wir uns genau anschauen müssen.“
Ex-Präsident Trump bezeichnete die Behauptung des NORAD-Kommandeurs als „gefälschte Desinformation“. In einem Interview mit dem Fernsehsender FOX hielt Trump seinem Nachfolger Joe Biden vor, das frühere Eindringen chinesischer Spionageballons zu erfinden, „damit er nicht so schlecht aussieht“.
Offene Fragen bleiben
Der Vorsitzende des Außenkomitees im Repräsentantenhaus, der Republikaner Michael McCaul, kündigte Anhörungen an. Es sei unverständlich, dass der Ballon fast eine Woche lang über den USA unterwegs war, bevor ihn die Air Force vor der Küste von South Carolina vom Himmel holte. „Wir werden die Regierung zur Rechenschaft ziehen, für diese peinliche Zurschaustellung von Schwäche.“
Wir werden die Regierung zur Rechenschaft ziehen, für diese peinliche Zurschaustellung von Schwäche.
Michael McCaul, republikanischer Vorsitzender des Außenkomitees im US-Repräsentantenhaus
Ein Vorwurf, den die Regierung zurückweist. Es seien Vorkehrungen getroffen worden, dass der etwa 63 Meter hohe chinesische Ballon bei seinem Überflug keine Erkenntnisse sammeln konnte. Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte, die Beobachtung des Überflugs habe den USA wichtige Einsichten vermittelt. „Wir verstehen das chinesische Überwachungsprogramm jetzt besser“.
NORAD-Befehlshaber VanHerck erklärte die nachträgliche Erkenntnis mit Informationen der amerikanischen Geheimdienste. Diese hätten die Militärs bereits damals auf die Spionageballons aufmerksam gemacht, die über Texas, Florida, Hawaii und Guam gesichtet worden seien. Das Pentagon hatte sie selbst als „unbekannte Flugobjekte“ charakterisiert. Die Frage, warum NORAD seinerzeit keine Konsequenzen daraus zog, blieb ebenso unbeantwortet, wie die nach dem möglichen Versagen kritischer Verteidigungsinfrastruktur der USA.
Das Weiße Haus bot ehemaligen Mitgliedern des nationalen Sicherheitsteams Trumps an, diese über die Erkenntnisse zu unterrichten. „Ich kann nicht sagen, was die frühere Regierung wusste“, erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag. „Ich kann ihnen nur sagen, dass wir diese Überflüge entdeckt haben, nachdem wir ins Amt gekommen sind.“
Nicht der erste Fall
Analysten erwarten, dass vor dem Hintergrund der Enthüllungen ein Geheimdienstbericht von 2021 noch einmal unter die Lupe genommen wird. Dieser hatte 144 „UFO“-Sichtungen dokumentiert, von denen nur ein Vorfall aufgeklärt werden konnte. Vergangenen Monat erhielt der Kongress eine Ergänzung mit 366 zusätzlichen Fällen, von denen 163 als „Ballons“ identifiziert wurden.
Ehemalige Mitglieder der Trump-Regierung räumten gegenüber Reportern ein, sie hätten von Ballon-Überflügen gewusst. Unter anderem seien Flugobjekte auf niedriger Höhe über Norfolk in Virginia und Coronado in Kalifornien gesichtet worden.
Weitere Erkenntnisse über die Kapazitäten der Spionageballons erhoffen sich die Amerikaner nach vollständiger Bergung der Wrackteile. Das für die Spionageabwehr zuständige FBI wollte die Fundstücke auswerten. Ob die Amerikaner diese danach an China zurückgeben, blieb zunächst offen.
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