Bahnexperte: „Luxemburg ist für uns sehr spannend“
Bahnexperte: „Luxemburg ist für uns sehr spannend“
Luxemburg ist das europäische Land, das im Verhältnis zur Einwohnerzahl am meisten Geld in die Schieneninfrastruktur steckt. 2021 waren das stolze 607 Euro pro Kopf - weit vor dem einstigen Spitzenreiter Schweiz (413 Euro) und deutlich vor dem Nachbarland Deutschland (124 Euro). Die Zahlen hat die deutsche „Allianz pro Schiene“ zusammentragen lassen, ein gemeinnütziges Verkehrsbündnis, das sich für eine Stärkung des Zugwesens einsetzt. Der Verkehrsreferent der „Allianz pro Schiene“, Andreas Geißler, erklärt die Unterschiede im Schienenwesen zwischen Luxemburg, der Schweiz und Deutschland.
Andreas Geißler, Ihre Allianz pro Schiene sorgt alljährlich für Schlagzeilen, wenn sie ihre Statistik präsentiert, welches europäische Land wie viel Geld in die Schieneninfrastruktur investiert. Hat es Sie überrascht, dass das kleine Luxemburg da ganz oben steht?
Diesen Vergleich der Investitionen, den machen wir jetzt schon mehr als zehn Jahre, und anfangs war Luxemburg da gar nicht dabei. Der klassische Spitzenreiter war lange Jahre immer die Schweiz. Aber irgendwann hat sich dann das luxemburgische Mobilitätsministerium bei uns gemeldet und sagte, sie fänden den Vergleich ganz toll. Aber sie müssten doch mal darauf hinweisen, dass sich in Luxemburg jetzt vieles tun würde. Nach ihrer Rechnung könnte es sein, dass vielleicht sogar Luxemburg an der Spitze stehen würde. Da haben wir gesagt: Das ist ja hochinteressant!
Wir hatten es einfach nicht geschafft, alle Länder in Europa zu monitoren. So hat sich der Kontakt ergeben. Wir sind auch eingeladen worden von François Bausch und haben uns dann die Dinge vor Ort angeguckt, die sich in Luxemburg entwickelt haben. Es hat uns sehr beeindruckt, zu sehen, was bei unseren Nachbarn im Westen passiert. Das war sehr spannend.
Für uns war sichtbar und spürbar: Da tut sich was, man steuert erfolgreich gegen und sagt, die Stadt soll wieder ein beliebter Ort sein.
Ist das Land vorher unter dem Radar gesegelt?
Genau. Luxemburg ist im Vergleich zu Deutschland ein sehr kleines Land. Für uns war interessant, dass die Mobilitätspolitik in den letzten Jahren so einen Stellenwert bekommen hat in Luxemburg. Das ist ja auch bei ihnen eine neue Entwicklung gewesen - aber eine, die für uns sehr spannend ist, weil wir glauben, dass diese Veränderungsprozesse beim Thema Mobilität eigentlich überall in Europa in der Luft liegen. Aber es gibt einige Länder - und Luxemburg gehört dazu -, die da schon vorneweg sind. Zu unserem Leidwesen ist Deutschland da noch ein bisschen langsamer und an vielen Stellen sogar, wenn man ehrlich ist, hinterher.
Sie waren dann also in Luxemburg vor einigen Jahren. Wie war Ihr Eindruck?
Vor zwei Jahren. Wir waren tatsächlich beeindruckt, weil schon, als wir in Luxemburg ankamen, erkennbar war, dass da eine wahnsinnige Dynamik drin ist. Es verändert sich viel, was man gleich am Bahnhof sieht, wo es die neue Tram gibt. Die war schon in Betrieb, als wir da waren, und es geht ja peu à peu weiter. Sie ist sehr nutzerfreundlich, wird sehr gut angenommen. Das eine ist die rein verkehrliche Dimension: Man hat eine dichte Zugfolge, die Züge sind modern, es ist viel Platz.
Aber für uns war auch sichtbar, dass es auf die Lebensqualität der Stadt und auch der Region Luxemburg einzahlt. Man kann sich gut in der Stadt bewegen. Aber Luxemburg ist durch die große Zahl der Pendler auch eine Region, die ja unter Verkehr leidet; wenn der Verkehr überfordert ist, ist es ja eben auch eine Schmälerung der Lebensqualität. Für uns war sichtbar und spürbar: Da tut sich was, man steuert erfolgreich gegen und sagt, die Stadt soll wieder ein beliebter Ort sein. Wir möchten, dass die Menschen sich hier gerne aufhalten und natürlich auch vorwärtskommen. Und das geht eben nicht mit Straßenverkehr allein.
Wobei ja nach wie vor sehr viel Geld in diesen Straßenverkehr investiert wird. Zudem ist es eine ländliche Region, wo doch sehr viele Pendler wie Einheimische mit dem Auto zur Arbeit fahren.
Das stimmt, wobei nach Zahlen der EU der öffentliche Verkehr in Luxemburg heute schon einen leicht höheren Marktanteil hat als in Deutschland. Es ist jetzt kein dramatischer Unterschied, aber es ist eben ein Prozentpunkt, wo der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs, also Bus, Eisenbahn, Tram, größer ist als in Deutschland. Natürlich wird es weiter Autoverkehr geben. Aber die Frage ist: Wie dominant ist das Auto im Verkehrsträgermix? Und das kann man sehr wohl beeinflussen. Auch in einem Land, das eben doch ein ländlich geprägter Raum ist, da kann man sehr Vieles erreichen.
Dazu gehört auch, dass man Busverkehr neu organisiert und ganz gezielt Zubringerachsen schafft, um auf S-Bahn oder Regionalexpress-Strecken zu kommen. Dies auch im Takt, wo Anschlüsse gewährleistet werden. Die Mobilität gesamthaft zu denken, das ist der richtige Ansatz. Und es hat uns wirklich Spaß gemacht, uns das in Luxemburg berichten zu lassen, wo dies genau der Ansatz ist.
Wir waren tatsächlich beeindruckt, weil schon, als wir in Luxemburg ankamen, erkennbar war, dass da eine wahnsinnige Dynamik drin ist.
Wie ordnen Sie die kostenlose öffentliche Mobilität ein? Ist das mehr ein Marketingding oder hat das wirklich Effekte?
Luxemburg ist da ein gewisser Sonderfall, den man sicherlich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen kann. Aber was ist eigentlich der Kern dieses kostenlosen Nahverkehrs? Dahinter steckt ja, dass es jetzt wahnsinnig einfach ist, den öffentlichen Verkehr zu benutzen, weil eine Zugangsbarriere wegfällt. In Deutschland gibt es bald das 49-Euro-Ticket, das auf das 9-Euro-Ticket zurückgeht. Der eigentliche Charme dieser Lösung ist ja, dass wir dann die Nutzung deutlich vereinfachen. Heute baut der Tarifdschungel für Menschen, die nicht Stammkunden sind, eine riesige Hürde auf. Aber neben einfachen Tarifen muss auch das Angebot entsprechend hochgefahren werden. Luxemburg ist diesen Weg gegangen, man hat ganz neue Strecken gebaut, hat das Angebot hochgefahren und dann zusätzlich die kostenlose Mobilität draufgesetzt.
Luxemburg hat die Schweiz vom Thron gestoßen bei den Investitionen pro Kopf. Dennoch ist die Schweiz immer noch an der Spitze bei der Pünktlichkeitsstatistik. Woran liegt das, dass das Schweizer Zugwesen so viel besser läuft als in den anderen Ländern?
Der Ausgangspunkt ist tatsächlich das Geld, was die Schweiz schon seit vielen Jahren in dieses System investiert. Aber die Geldmenge allein ist eben nicht alles. Was man in der Schweiz sehr gut sieht ist, dass dieses Geld zielgerichtet investiert wird, sodass es, was die Zuverlässigkeit des Systems angeht, sehr gute Effekte hat. Die Schweizer haben schon in den 80er-Jahren auf einen Taktfahrplan gesetzt und ihre Investitionspolitik darauf ausgerichtet. In Deutschland gibt es hingegen einen riesigen Investitionsstau. Erfreulicherweise haben wir mehr Verkehr auf der Schiene als früher, doch das auf einem Netz, das auf Kante genäht ist und daher überlastet ist. Jetzt geht es um einen gezielten und raschen Ausbau. Die gute Nachricht ist, dass mit dem „Deutschlandtakt“ ein fertiges Konzept dafür vorliegt.
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