Ausgerechnet im Iran war das Kopftuch einst verboten
Ausgerechnet im Iran war das Kopftuch einst verboten
Von Michael Wrase
Es war Ayatollah Khomeini, der den iranischen Frauen den Krieg erklärt hatte. Wenige Wochen nach dem Sieg der Revolution im Jahr 1979 verkündete er in einer Rede, dass es fortan ihre „heilige Pflicht“ sei, den Hijab (Kopftuch) zu tragen. Gleichzeitig setzte der Geistliche das von der iranischen Frauenbewegung errungene „Gesetz zum Schutz der Familie“ aus dem Jahr 1967, das vor allem die Bereiche Ehe und Scheidung betraf, außer Kraft.
Die Antwort der Betroffenen ließ nicht lange auf sich warten. Am 8. März 1979, dem internationalen Frauentag, gingen Zehntausende, Frauen und Männer, auf die Straßen, um gegen das frauenfeindliche Vorgehen der neuen Machthaber in Teheran zu demonstrieren. Die landesweiten Proteste dauerten vier Tage, bis sie von der Polizei brutal niedergeschlagen wurden.
Sukzessiv setzte der islamische Staat die neue Kleiderordnung durch. Das neue Ehe– und Familienrecht privilegierte die Männer, die nun entscheiden konnten, ob ihre Töchter heiraten, studieren oder arbeiten dürfen. Erst zu Beginn der 90er-Jahre gelang es den iranischen Frauen unter den Präsidenten Haschemi Rafsandschani und Mohammed Chatami, eine Lockerung der repressiven Kleiderordnung durchzusetzen.
Rufe nach einem Umsturz des Regimes
Der Hijab rutschte nun immer weiter nach hinten. Auch die Kleider wurden kürzer und enger, die Lippenstifte immer greller. Im Jahr 2014 begannen die iranischen Frauen sogar, ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit ganz abzulegen. Ihre von Frauenorganisationen in der ganzen Welt unterstützten Protestaktionen konnten im Rahmen der Kampagne „My Stealthy Freedom“ – meine heimliche Freiheit – wirkungsvoll in den sozialen Medien dokumentiert werden.
Die meisten iranischen Frauen hatten bis zu diesem Zeitpunkt noch gehofft, Freiheit, Demokratie und politische Reformen innerhalb des islamischen Systems durchsetzen zu können. Erst seit 2017 wurden die Stimmen derjenigen, die einen „Regime-Change“ in Teheran forderten, langsam lauter. Auf Orkanstärke schwollen die Stimmen der Wut und Entrüstung im Iran allerdings erst nach der Machtübernahme von Präsident Ibrahim Raisi im August 2021 an.
Der reaktionäre Geistliche, der als Staatsanwalt Ende der 80er-Jahre mehr als 5.000 Oppositionelle zum Tode verurteilt hatte, wollte sein Land wieder zu „islamischen Tugenden“ zurückführen. Mit seinem repressiven Handeln sorgte Raisi jedoch dafür, dass der ohnehin tiefe Graben zwischen der herrschenden Geistlichkeit und der iranischen Zivilgesellschaft unüberbrückbar wurde.
„Zan, Zendegi, Azadi“ – Frau, Leben, Freiheit - lautet seit dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini der Slogan der Protestbewegung. Mit der öffentlichen Verbrennung von Kopftüchern, dem Symbol für die Unterdrückung der Frau seit der Revolution von 1979, sagten sie dem Regime den Kampf an. „Die Protestwelle in Aminis Namen“, betont der iranische Politikwissenschaftler Homayoun Alizadeh, „ist ein Zeichen für die breite Unterstützung der politischen Macht und Handlungsfähigkeit von Frauen, die für den politischen Wandel im Iran von zentraler Bedeutung ist.“
Das Tragen des Schleiers war einst verboten
Die Frauenbewegung im Iran hat eine lange Tradition. Bereits 1891 unterstützten iranische Frauen die Proteste gegen den damaligen König Nasser al-Din. Aus Geldnot hatte er das Tabakmonopol an britische Militärs vergeben. Nicht nur die Männer verzichteten daraufhin auf ihre Wasserpfeifen. Auch die Haremsdamen im Königspalast weigerten sich, dem Monarchen seine tägliche Wasserpfeife vorzubereiten. Der revidierte wenig später seine Entscheidung.
Die „Tabak-Bewegung“ gilt als die Keimzelle der konstitutionellen Revolution im Iran. Als Reza Khan, der erste König der Pahlavi-Dynastie, 1925 an die Macht kam, verbot er den Frauen das Tragen des Schleiers. Iran solle ein moderner Staat werden - so begründete er den radikalen Schritt. Unter seinem Sohn Mohammed Reza stieß die von oben verordnete Modernisierung zunehmend auf Ablehnung. Es ging dabei weniger um die Verhüllung, sondern um die Tatsache, dass Ende der 70er-Jahre im vermeintlich „modernen Iran“ fast 50 Prozent unterhalb der Armutsgrenze, der Schah dagegen in Saus und Braus lebte.
So waren es erneut die iranischen Frauen, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben der Revolution anschlossen. Dass Khomeini – wie sein Amtsvorgänger Mohammed Reza – wie ein Diktator regieren würde, hatten die iranischen Frauen nicht erwartet. Ihnen blieb daher keine andere Wahl, als ihren langen Freiheitskampf fortzusetzen.
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