Aktivisten entwenden Grabstein von Nazi-Wegbereiter Franz von Papen
Aktivisten entwenden Grabstein von Nazi-Wegbereiter Franz von Papen
Das deutsche Künstlerkollektiv "Zentrum für Politische Schönheit" ist bekannt für seine drastischen Aktionen. Jetzt haben die Provokateure um den Künstler Philipp Ruch offensichtlich im Saarland zugeschlagen: Auf Facebook posteten sie am Dienstagvormittag ein Foto des Grabsteins von Franz von Papen mit dem Text: "Franz von Papen ist in unserer Gewalt! [...] Franz von Papen ist auf dem Weg nach Berlin, um die historische Schuld des deutschen Konservatismus aufzuarbeiten."
LW-Recherchen bestätigen: Der Grabstein von Papens auf dem Wallerfanger Friedhof fehlt tatsächlich. Da, wo die etwa 130 Kilogramm schwere Steinplatte im Boden liegen sollte, klafft eine Lücke, nur die Platte seiner Ehefrau Martha von Papen, geborene von Boch-Galhau, ist noch zu sehen.
Die Aktion steht im Zusammenhang mit dem umstrittenen Guerilla-Projekt "Sucht nach uns" des "Zentrums für politische Schönheit", bei dem das Kollektiv am vergangenen Wochenende eine "Gedenksäule" vor dem Berliner Reichstag aufstellte, die nach eigenen Angaben aus der Asche von Holocaust-Opfern bestehen soll.
Die Reaktionen waren geteilt: Während die deutsche Journalistin Lea Rosh, auf deren Engagement zum Beispiel das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin" zurückgeht, das Projekt guthieß, sagte Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: "Auschwitz-Überlebende sind bestürzt darüber, dass mit diesem Mahnmal ihre Empfindungen und die ewige Totenruhe ihrer ermordeten Angehörigen verletzt werden." Der Grünen-Politiker Volker Beck erstattete Anzeige.
Die Aktion sei als Warnung an die Politik zu verstehen, mit rechtsextremen Kräften wie der AfD zu paktieren, so die Künstler.
In diesen historischen Kontext passt der Name Franz von Papen, der als Reichskanzler 1933 mit Hitlers NSDAP koalierte (und später in sie eintrat) und so den Nazis endgültig den Weg zur Macht ebnete. Von ihm stammt das Zitat, man wolle mit dieser Koalition "Hitler in die Ecke drängen, bis er quietscht" - eine Fehleinschätzung mit fatalen Folgen.
Das Friedhofsamt der Gemeinde Wallerfangen wollte den fehlenden Grabstein nicht kommentieren.
Bis jetzt ist vor allem ein möglicher Tathergang unklar. Der Stein wog nach LW-Informationen um die 130 Kilogramm. Zum Abtransport, so die Meinung eines Experten, genügten zwei Helfer und eine Sackkarre, beim Aufladen müsste aber ein Kran zum Einsatz gekommen sein.
"Wir werden den Stein nicht dauerhaft behalten"
Das "Zentrum für Politische Schönheit" behauptet auf Nachfrage des "Luxemburger Wort", den Stein "entführt" zu haben. Und das, so Sprecher Stefan Pelzer, nicht erst gestern. "Eine große Frage ist, wieso in Wallerfangen keiner gemerkt hat, dass seit mehreren Wochen der Grabstein des Ehrenbürgers fehlt."
[Anmerkung der Redaktion vom 5. Dezember: Nach Aussage des ehemaligen Saarlouiser Landrates Dr. Peter Winter ist von Papen nicht Ehrenbürger von Wallerfangen; auch handele es sich bei der Grabstätte, anders als vom "Zentrum für politische Schönheit" behauptet, nicht um ein Ehrengrab.]
Die Aktion sei in engem Zusammenhang mit der Gedenksäule in Berlin zu sehen, so Pelzer. "Wir zeigen damit: So gehen die Deutschen mit ihren Tätern um. Von Papen hat ohne Not die Macht an Hitler ausgehändigt, war Hauptangeklagter in Nürnberg, wurde nach vier Jahren vorzeitig entlassen, bekam sein Vermögen zurück, lebte auf seinem Schloss und wurde ehrenvoll begraben. Die Opfer wurden dagegen irgendwo verscharrt, wo nichts an sie erinnert."
Als Nötigung will Pelzer die Aktion nicht verstanden wissen, Diebstahl sei es auch nicht: "Wir wollen den Stein nicht behalten. Es handelt sich um unerlaubte Entfernung, das ist eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat."
"Wir ermitteln in alle Richtungen"
Eine bloße Eulenspiegelei also? Das sehen nicht alle so. Bis jetzt ist auch noch nicht einmal sicher, dass das "ZPS" den Stein tatsächlich hat. Das bestätigt auch Stephan Laßotta, der Sprecher der zuständigen Polizeibehörde in Saarbrücken am Dienstagnachmittag: "Wir versuchen derzeit herauszufinden, seit wann die Platte weg ist und was damit geschah - ob die Familie sie zum Beispiel gerade restaurieren lässt, oder ob sie gestohlen wurde."
Der Staatsschutz ist involviert.
Polizeisprecher Stephan Laßotta
Das politische Motiv, das das "Zentrum für politische Schönheit" ins Spiel bringt, käme erst zum Tragen, wenn klar ist, dass die Aktionskünstler die Platte auch tatsächlich haben, so der Polizeisprecher. Allerdings: "Der Staatsschutz ist involviert", sagt Laßotta ausdrücklich im Gespräch mit dem "Luxemburger Wort".
Aktionskunst am Rande des guten Geschmacks: Das "ZPS"
Das "Zentrum für politische Schönheit" schreckte in den vergangenen Jahren nicht davor zurück, Grenzen zu überschreiten. Die Gedenksäule mit der angeblichen Häftlings-Asche und der mutmaßliche Grabstein-Raub sind nur die letzten in einer Reihe von aufsehenerregenden Aktionen.
Diese sind immer von harter Symbolik und sorgsam ausgesuchten Orten geprägt. Die "Gedenksäule" steht zum Beispiel auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper zwischen Reichstag und Bundeskanzleramt. Die Aktivisten erklären die Platzwahl: "An diesem Ort legte vor genau 86 Jahren der deutsche Konservatismus die Demokratie in die Hände von Hitler und seinen Nazischergen. Die Vernichtung von Millionen Menschen nahm hier ihren Lauf."
Etwas weniger drastisch formuliert: Die Krolloper war ein Ausweichort für das Deutsche Parlament nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933. Am 23. März 1933 stimmten die Abgeordneten hier für das sogenannte "Ermächtigungsgesetz" (voller Titel: "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich"), das das faktische Ende der Weimarer Republik bedeutete und zusammen mit der "Reichstagsbrandverordnung" die rechtliche Grundlage der Nazi-Diktatur darstellt. Es gab nach diesem Tag in Deutschland bis Kriegsende keine Gewaltenteilung mehr. Die Auswahl von Papens als Teil dieser Aktion des "Zentrums für politische Schönheit" wäre von daher stimmig, weil er am Zustandekommen und Inkrafttreten dieser Gesetze maßgeblich beteiligt war.
Weitere aufsehenerregende und auch umstrittene Aktionen des "Zentrums für politische Schönheit" waren zum Beispiel das Projekt "Die Toten kommen", bei dem die Leichen von ertrunkenen Flüchtlingen nach Deutschland überführt wurden, um sie dort zu begraben oder das Verbringen der Gedenkkreuze für an der Berliner Mauer erschossene DDR-Flüchtlinge an die Außengrenzen der Europäischen Union. Im November 2017 stellten die Aktionskünstler vor dem Wohnhaus des rechtsextremen Politikers Björn Höcke eine Replik des Berliner Holocaust-Mahnmals auf.
