Abhörvorwürfe bringen Mitsotakis in Erklärungsnot
Abhörvorwürfe bringen Mitsotakis in Erklärungsnot
Von Gerd Höhler (Athen)
Als im vergangenen August bekannt wurde, dass der griechische Geheimdienst EYP im Jahr zuvor mehrere Monate lang das Telefon des sozialdemokratischen Oppositionspolitikers Nikos Androulakis abgehört hatte, zog der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis schnell Konsequenzen: Der Chef des Geheimdienstes musste zurücktreten. Auch Mitsotakis‘ Neffe Grigoris Dimitriadis, als Generalsekretär des Premiers für die Beaufsichtigung des Geheimdienstes zuständig, verlor seinen Job. In einer eilig anberaumten TV-Ansprache bezeichnete Mitsotakis den Lauschangriff auf Androulakis als „Fehler“. Er sei nicht informiert worden und hätte die Überwachung „niemals zugelassen“, wenn er davon gewusst hätte.
Aber die Hoffnung, damit die Affäre zu beenden, hat sich für Mitsotakis nicht erfüllt. Seit sechs Monaten kommen immer neue Vorwürfe auf. Der radikal-linke Oppositionsführer Alexis Tsipras spricht von den „schwerwiegendsten Rechtsverstößen in der modernen Geschichte Griechenlands“. Am Mittwoch stellte Tsipras im Parlament einen Misstrauensantrag gegen den konservativen Regierungschef.
Indirekter Wahlkampfauftakt
Die dreitägige Debatte, die am Freitagabend mit der Abstimmung über den Misstrauensantrag zu Ende gehen soll, ist zugleich der Auftakt für den Wahlkampf. Im Frühjahr wird in Griechenland ein neues Parlament gewählt. Als wahrscheinlicher Wahltermin gilt der 9. April. Spricht das Parlament dem Regierungschef tatsächlich das Misstrauen aus, werden sofort Neuwahlen fällig. Dass es dazu kommt, ist aber unwahrscheinlich, denn die Regierung verfügt über eine absolute Mehrheit von 156 der 300 Mandate. Aber die Abhöraffäre bringt Mitsotakis im Wahlkampf in Erklärungsnot.
Die Liste der angeblich Belauschten wird ständig länger: Oppositionspolitiker, aber auch Regierungsmitglieder, der Generalstabschef und führende Militärs sowie prominente Journalisten wurden offenbar bespitzelt. Oppositionsnahe Medien veröffentlichten in den vergangenen Wochen immer neue Namen. Inzwischen hat auch die zuständige Datenschutzbehörde ADAE die Abhörpraktiken bestätigt – sehr zum Missfallen der Regierung, die dem Chef der Behörde nun vorwirft, er lasse sich von der Opposition für deren politische Ziele einspannen.
Die Regierung selbst hat zur Aufklärung der Vorwürfe allerdings bisher wenig beigetragen. Die Frage, warum der Oppositionspolitiker Androulakis abgehört wurde, ist immer noch unbeantwortet. Dass Mitsotakis davon nichts gewusst haben will, nehmen ihm laut einer Umfrage zwei Drittel der Befragten nicht ab.
Im Dezember versuchte die Regierung den Schaden zu begrenzen: Mit einer Gesetzesänderung wurde die politische Kontrolle über den Geheimdienst verstärkt. Die Genehmigungsverfahren für Telefonüberwachungen wurden verschärft. Der nicht autorisierte Einsatz von Spyware wird künftig mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet.
Dass es für den amtierenden Premier bei der nächsten Wahl noch einmal für eine absolute Mehrheit reicht, ist unwahrscheinlich.
Mitsotakis‘ konservative Nea Dimokratia liegt zwar in den Umfragen noch deutlich vor der radikal-linken Syriza des Oppositionsführers Tsipras, aber der Vorsprung verringert sich – von zehn Prozentpunkten vor einem Jahr auf jetzt 7,5 Prozentpunkte.
Mögliche Rückkehr von Alexis Tsipras
Dass es für den amtierenden Premier bei der nächsten Wahl noch einmal für eine absolute Mehrheit reicht, ist unwahrscheinlich, denn gewählt wird diesmal nach einem reinen Verhältniswahlrecht. Gelingt keine Regierungsbildung, finden Neuwahlen statt. Verfehlt Mitsotakis auch dann die absolute Mehrheit, müsste er versuchen, eine Koalition zu bilden. Als möglicher Partner wurde bisher die PASOK genannt. Auch Androulakis schien nicht abgeneigt. Schon in der Schuldenkrise regierten Konservative und Sozialdemokraten von 2012 bis 2015 gemeinsam.
Aber mit dem Lauschangriff auf Androulakis hat sich Mitsotakis diese Tür selbst zugeschlagen. Der bespitzelte PASOK-Chef hat es inzwischen zu seinem Wahlziel erklärt, „die Nea Dimokratia in die Opposition zu schicken“ und sich an einer „fortschrittlichen Regierung“ zu beteiligen. Im Klartext heißt das: Androulakis strebt nun eine Koalition mit dem Linksbündnis Syriza an. Damit würde sich für Ex-Premierminister Tsipras die Tür zur Rückkehr an die Macht öffnen.
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