2023 könnte das Jahr des Mohammed bin Salman werden
2023 könnte das Jahr des Mohammed bin Salman werden
Von Michael Wrase
Geschätzte 1,5 Milliarden Menschen saßen vor ihren Fernsehern, als Mohammed bin Salman – kurz MBS – während des WM-Auftakts in Katar an der Seite von FIFA-Chef Giovanni Infantino das Publikum grüßte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war MBS rehabilitiert – und vergessen, dass der saudische Kronprinz noch immer des (nicht aufgeklärten) Auftragsmordes an dem Dissidenten Jamal Khashoggi im Herbst 2018 verdächtig ist.
Drei Wochen nach dem Triumph von Doha hatte MBS in Riad den chinesischen Regierungschef Xi mit Pauken und Trompeten empfangen. Mit der Visite wollten die Saudis den USA demonstrieren, dass sie geopolitisch einen neuen Partner gefunden haben. Die „historische Allianz“ soll 2023 vertieft werden. An der Seite von Xi fühlt sich MBS sichtlich wohl. Vor allem in Menschenrechtsfragen liegen die beiden Politiker auf einer Linie. Und so soll es auch bleiben.
Zum engeren Freundeskreis des Saudis zählt auch weiterhin Wladimir Putin. Direkte Absprachen mit den Russen werden auch 2023 für hohe Ölpreise sorgen. Eine Drosselung der Produktion lehnt der immer selbstbewusster auftretende MBS ab. Er habe es satt, sich Vorschriften machen zu lassen.
Vom Westen hofiert
Trotzdem wird der starke Mann Saudi-Arabiens auch 2023 vom Westen hofiert werden. Wegen des Ukraine-Krieges bleibt die Nachfrage nach Öl und Gas hoch. Analysten erwarten im zweiten Halbjahr 2023 einen Barrel-Preis (152 Liter) von über 100 Dollar. Querelen mit MBS, wie in der Vergangenheit, kann sich der Westen daher nicht leisten.
Wegen des Ukraine-Krieges bleibt die Nachfrage nach saudischem Öl und Gas hoch.
Von hohen Öl- und Gaspreisen könnte – trotz bestehender Sanktionen – auch der benachbarte Iran profitieren. Die Protestbewegung sorgte zuletzt für weniger Schlagzeilen. Weitergehen werden die Proteste mit Sicherheit. Ihre dauerhafte Niederschlagung halten Beobachter für unmöglich. Wie in der Vergangenheit wird auch 2023 ein einziger Funken genügen, um die stetig wachsende Zahl der Regimegegner auf die Straße zu bringen.
Dennoch ist es noch zu früh, bereits von einer neuen Revolution im Iran zu sprechen. Die Protestbewegung hat weder eine Struktur noch eine Führungspersönlichkeit, wie es Ayatollah Khomeini vor 43 Jahren war. Sein Amtsnachfolger, der 83 Jahre alte Ayatollah Khamenei, ist schwer krank. Um die „Stabilität“ des Landes nach seinem Tod oder Rücktritt zu garantieren, wird unter Iran-Kennern mit einem Putsch der Revolutionsgardisten gerechnet.
An den Schaltstellen der Macht
Die zum Schutz der Islamischen Republik geschaffene Streitmacht kontrolliert bereits seit vielen Jahren die wichtigsten Schaltstellen der Macht. Die meisten Parlamentsabgeordneten, Provinzgouverneure und wichtigsten Minister sind ehemalige Revolutionsgardisten. Nach ihrem Putsch könnte sich die Macht der Kleriker zugunsten national gesinnter Militärs verschieben. Iran dürfte sich in diesem Fall von einer Theokratie in eine militärgestützte Autokratie wandeln, vergleichbar etwa mit Ägypten.
Im größten Land Arabiens hat der Ukraine-Krieg die Wirtschaftsprobleme weiter verschärft. Um eine Brotrevolution zu verhindern, wird das von General Sisi gelenkte Militärregime auch 2023 auf massive Finanzhilfe des Westens und der Golfstaaten angewiesen sein. Gleichzeitig verhindern Korruption und Vetternwirtschaft nachhaltige westliche Investitionen.
In Syrien könnte Diktator Baschar al Assad seine Macht in den von seiner Armee kontrollierten Gebieten weiter konsolidieren. Voraussetzung dafür ist allerdings fortgesetzte politische und militärische Unterstützung aus Russland und Iran, welche vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Proteste in der Islamischen Republik nicht garantiert ist.
Syrien vor erneuten Unruhen
Ohne die Rückendeckung aus Teheran und Moskau könnte in Syrien der Bürgerkrieg wieder aufflammen. Mit erneuten Unruhen ist auch in Jordanien zu rechnen. Das Königreich ist von Krediten des Internationalen Währungsfonds IWF abhängig, der der Regierung Subventionen auf Grundnahrungsmittel und Benzin untersagt hat.
Auch im Jemen ist im neuen Jahr kein Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Die Kampfparteien hatten sich im Frühjahr 2022 auf einen Waffenstillstand geeinigt, der im Oktober ablief. Für eine dauerhafte Waffenruhe ist eine politische Einigung zwischen Iran und Saudi-Arabien erforderlich.
Die beiden Regionalmächte blockieren zudem die für einen Aufschwung im Libanon notwendigen Reformen. Die extreme Leidensfähigkeit der Bevölkerung dürfte auch 2023 erneut auf die Probe gestellt werden. Eine Gewalteskalation in der Zedernrepublik, also ein neuer Bürgerkrieg, kann angesichts der völligen Perspektivlosigkeit nicht ausgeschlossen werden.
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