Zwischenbilanz zum Rifkin-Prozess
Zwischenbilanz zum Rifkin-Prozess
Lange war es still um den Rifkin-Prozess. 2015 hatte der ehemalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider den US-Soziologen Jeremy Rifkin mit einer Studie beauftragt, um Luxemburg ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell zu geben. 49 strategische Maßnahmen hat sich das Land damit selbst zur Aufgabe gemacht.
Verfolgt man ein Ziel, muss man den Fortschritt auch „tracken“, wie es auf Neudeutsch heißt. Doch die letzte Zwischenbilanz zum Rifkin-Prozess stammt von 2018.
Anfang des Jahres formulierte der liberale Abgeordnete André Bauler es in einer Anfrage an Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) so: „Auch wenn wir jetzt in der Pandemie erkennen, wie wichtig die damals beschriebene Widerstandsfähigkeit der Produktions- und Lieferketten ist, so scheint der 475 Seiten große Bericht im Sande verlaufen zu sein.“
Das Wirtschaftsministerium steuerte daraufhin gegen. Anfang des Jahres führten das Ministerium, die Handelskammer und IMS Luxemburg eine Bestandsaufnahme durch. Die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.
Der Rifkin-Prozess hatte neun Aktionsfelder identifiziert. Der aktuelle Zwischenbericht bewertet, welche Fortschritte die einzelnen Projekte darin gemacht haben. Gab es keinen Fortschritt, wird die schlechteste Punktzahl vergeben: eins. Ist das Ziel bereits erreicht, erhält das Projekt fünf Punkte.
Von „Bestens“ bis „Kein Fortschritt“ erkennbar
Der Bestwert wurde insgesamt dreimal vergeben. Einmal im Bereich Energie. Hier wurde die Steigerung der Energieeffizienz durch neue Normen bei der Gebäudesanierung erfolgreich umgesetzt. Insgesamt schneidet der Block Energie gut ab. Die Schaffung eines nationalen Rechtsrahmens für die Förderung des Eigenverbrauchs von erneuerbaren Energien, die Elektrifizierung der Mobilität und die Umsetzung eines Klimapakets für Gemeinden sind angestoßen. Die Maßnahmen laufen oder sind sogar schon fortgeschritten, zu diesem Ergebnis kommt der Bericht.
In der zweiten Kategorie, dem Bauwesen, sieht es ähnlich aus. Hier ist etwa die Umsetzung intelligenter, nachhaltiger, kreislauforientierter Vorzeigeprojekte im Gang.
Im Bereich Lebensmittel fällt die Bilanz ebenfalls recht positiv aus. Dort werden die Einrichtung einer Taskforce für Lebensmittelverschwendung oder die Unterstützung der Umstellung des luxemburgischen Lebensmittelsektors auf erneuerbare Energien mit drei bewertet, was bedeutet „die Maßnahmen laufen“.
Die Finanzwirtschaft kam vergleichsweise gut durch die Pandemie und auch im Zwischenbericht schneidet sie gut ab. Ein Projekt war hier die Regulierung zu verbessern, daran wird gearbeitet. Eine Plattform für Sustainable Finance wurde bereits geschaffen.
Musterschüler Smart Economy
Die Kategorie Smart Economy könnte als Musterschüler durchgehen: Hier wurden vier Mal vier Punkte und einmal fünf Punkte vergeben, nämlich für die erfolgreiche Schaffung des Kompetenzzentrums Cybersecurity.
Im Bereich Kreislaufwirtschaft ist das Bild geteilt. Bei eher kommunikativen Aufgaben, wie Bildungsprogrammen und Sensibilisierungskampagnen, schneiden die Projekte gut ab (vier Punkte). Aber wenn es konkret wird, etwa um ein Steuersystem, das die Kreislaufwirtschaft fördert oder darum, Landwirte in die Produktion von Wind- und Photovoltaikanlagen einzubinden, fällt das Urteil vernichtend aus: „Kein Fortschritt erkennbar“.
Sorgenkinder Industrie und Kreislaufwirtschaft
Die Sorgenkinder sind der Vergabe der Punktzahl nach die Bereiche Industrie sowie Kreislaufwirtschaft. Bei diesen Projekten tummeln sich die Punktzahlen eins und zwei, was gar kein bis wenig Fortschritt bedeutet. Das könnte als Alarmzeichen verstanden werden.
Ein Projekt im Bereich Industrie ist etwa die Förderung von Wasserstoff. Im Dezember 2020 hatte der Wirtschaftsminister mit 22 anderen EU-Mitgliedstaaten ein Manifest unterzeichnet. Europa soll demnach zum Weltmarktführer für Wasserstofftechnologien werden. Die Bewertung des Berichts: Seither ist kein Fortschritt erkennbar.
Auch das Programm „Fit4Start“, das Start-ups fördern soll, erhält nur zwei Punkte und macht demnach wenige Fortschritte, obwohl Luxemburger Akteure immer wieder das Ziel betonen, das Großherzogtum zur Start-up Nation machen zu wollen.
Dann wäre da noch das Projekt „Digimob Industrie 4.0“, das sich um die Qualifikation von Arbeitnehmern in der Industrie kümmern soll. Das Projekt endet in einem Jahr. Auch hier lautet das Urteil: zwei Punkte, kaum Fortschritte. Das Ergebnis mag ernüchternd wirken, aber es ist wichtig. Denn erst wenn Misserfolge gemessen werden, kann nachjustiert werden.
Luxemburg-Strategie statt Rifkin-Prozess
Noch bedeutsamer als das Ergebnis des Berichts könnte die Bewertung sein, die Wirtschaftsminister Fayot grundsätzlich vornimmt. Im Vorwort schreibt er: „Viele der Maßnahmen wurden in den letzten Jahren umgesetzt, ohne mit Rifkin identifiziert zu werden.“ Er sehe und teile den Wunsch, eine neue Governance einzurichten für das vor fünf Jahren eingeleitete Verfahren. „Vor einigen Monaten haben wir innerhalb des Wirtschaftsministeriums die Luxemburg-Strategie ins Leben gerufen“, schreibt er. Die Aufgabe dieses Referats sei, die Projekte auszuweiten und zu vertiefen, die im Rahmen des Rifkin-Prozesses eingeleitet wurden.
Was bedeutet das? Laurent Mosar (CSV), Mitglied der parlamentarischen Wirtschaftskommission, erkennt darin: „Der Rifkin-Prozess wird mit der Luxemburg-Strategie zu Grabe getragen“. Er hält das für überfällig. Die Ziele seien gut. Aber der Rahmen habe keinen Mehrwert mehr. „Das sieht die Regierung jetzt auch ein.“
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