Risiko von Stagflation und Rezessionen steigt
Risiko von Stagflation und Rezessionen steigt
(Bloomberg) -Infolge der nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine sprunghaft ansteigenden Preise für Kraftstoffe, Lebensmittel und Metalle droht der Weltwirtschaft zunehmend eine Stagflation und möglicherweise weitere Rezessionen.
Neuerliche Mutmaßungen, dass die Regierungen Sanktionen gegen Moskaus Energielieferungen verhängen könnten, katapultierten den Ölpreis am Montag zeitweise über die Marke von 130 Dollar (119 Euro) je Barrel. Die europäischen Gaspreise stiegen weiter an, nachdem sie sich in der vergangenen Woche bereits verdoppelt hatten, und Weizen steht nach dem Ausscheiden der Ukraine als einer der weltweit wichtigsten Getreidelieferanten kurz vor einem Rekord. Auch Kupfer, Palladium und andere Metalle verteuern sich weiter.
Die Welt hat das Coronavirus noch immer nicht vollständig überwunden, und die Versorgungsketten reißen erneut. Die steigenden Rohstoffkosten drohen Unternehmen und Verbrauchern zunehmend einen Doppelschlag im Stil der 1970er-Jahre zuzufügen, und zwar durch eine noch stärkere Inflation und eine schwächere Nachfrage.
Stagflation oder Rezession
Die Frage ist, ob die Volkswirtschaften nur zwei Jahre nach dem tiefsten Einbruch der letzten Jahrzehnte aufgrund der Pandemie eine Stagflation oder eine weitere Rezession erleiden werden. Europa, das etwa 40 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland deckt, ist besonders gefährdet, aber auch die USA und Asien sind nicht immun.
Ökonomen von Barclays Plc und JPMorgan Chase & Co gehören zu denen, die ihre Prognosen für das globale Wachstum senken und für die Verbraucherpreise anheben. Beide erwarten ein um etwa einen Prozentpunkt schwächeres Wachstum und eine um einen Prozentpunkt höhere Inflation als bisher.
Zentralbanken müssen vorsichtig sein
„Steigende Rohstoffpreise und die durch den Russland-Ukraine-Krieg verursachte erhöhte Risikoaversion deuten auf einen Stagflationsschock hin“, schreiben Barclays-Ökonomen um Christian Keller in einer Analyse. „Während Europa anfälliger zu sein scheint als die USA, und Großbritannien irgendwo dazwischen liegt, scheint China am wenigsten gefährdet.“
Stagflation würde den Zielkonflikt zwischen Wachstum und Inflation verschärfen. Die Regierungen stehen unter dem Druck, Belastungen durch höhere Ausgaben auszugleichen, z. B. durch Subventionen zum Schutz der Armen vor hohen Energiekosten. Unterdessen müssen die Zentralbanken vorsichtig vorgehen, auch wenn die US-Notenbank weiterhin die Zinsen anheben will.
„Die Fed hat keine andere Wahl, als die Zinsen im März anzuheben, und wir glauben, dass sie die Zinsen trotz der geopolitischen Risiken auch danach weiter erhöhen wird“, so die Jefferies-Ökonomen Aneta Markowska und Thomas Simons in einer Analyse. „Ein Szenario mit sieben Zinserhöhungen scheint immer noch ein realistisches Basisszenario zu sein.“
Die Unterbrechung der Gaslieferungen über die Ukraine könnte das BIP des Euroraums um 1 Prozent verringern, während ein vollständiger Verlust des russischen Gases einen Rückgang um 2,2 Prozent bedeuten würde, heißt es bei Analysten von Goldman Sachs Group Inc. Ausgehend von der Annahme, dass die Energiepreise auf ihrem am Montag erreichten Höchststand verharren, zeigt das interne SHOK-Modell von Bloomberg Economics für die Wirtschaft des Euroraums eine Schrumpfung im dritten Quartal und eine Inflation von 6 % in diesem Jahr.
Energiepreise könnten die Inflation auf über 6 Prozent treiben
„Wie stark die europäische Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur vermuten, aber der Aufschwung nach der Krise wird sich sicherlich erheblich verzögern“, so Erik Nielsen, Chef-Wirtschaftsberater der UniCredit Group. Er sieht das Risiko einer Stagflation – wenn nicht sogar einer Rezession mit Inflation.
Noch pessimistischer äußerte sich Gilles Moec, Chefvolkswirt bei AXA Investment Managers, der erklärte, dass ein Rückgang des BIP-Wachstums um einen Prozentpunkt in diesem Jahr „jetzt optimistisch erscheint“.
Es gibt Schockabsorber. Die Omikron-Variante ist auf dem Rückzug, Haushalte und Unternehmen haben während der Pandemie Ersparnisse gebildet und die meisten Arbeitsmärkte sind angespannt. Außerdem strebt China nun ein Wachstum von etwa 5,5 Prozent im Jahr 2022 an, was am oberen Ende der Schätzungen vieler Wirtschaftsexperten liegt.
Es wäre nicht das erste Mal …
Dennoch wäre es nicht das erste Mal, dass explodierenden Ölpreise das globale Wachstum beeinträchtigen. Eine Verdoppelung des Rohölpreises in den Jahren 1973–74, 1978 und 2007–2008 kündigte Rezessionen an. Aber bereinigt um die Inflation müsste sie laut der National Bank of Canada 170 Dollar überschreiten, um den Rekord von 2008 zu übertreffen.
Paul Donovan, globaler Chefökonom bei UBS Wealth Management, sagte, dass das Gesamtergebnis möglicherweise nur teilweise der Stagflation der 1970er-Jahre ähnele. Ölexporteure gäben heute viel mehr aus als in den 1970er-Jahren, was die globale Nachfrage stützen werde. Zudem sei die Welt auch weniger abhängig von Rohöl als früher. Haushalte und Unternehmen könnten Energie einsparen. „Wir werden nicht annähernd so etwas Schlimmes wie in den 1970er-Jahren erleben“, fügte er hinzu.
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